Schillers Sonette (1)

Näme man den Titel dieses Eintrags wörtlich, bliebe nicht viel zu sagen, denn: Friedrich Schiller hat keine Sonette geschrieben. Aber andererseits ist ein Sonett auch nur ein Spezialfall der Kanzonenform, die vorliegt, wenn der Anfang des Gedichts noch einmal wiederholt wird, ehe sich daran ein in Metrum und Reim abgewandelter dritter Teil anschließt, der im allgemeinen länger als einer der ersten beiden Teile ist, aber kürzer als beide zusammen. Das gibt eine wunderbar ausgeglichene Form, und das Sonett ist in der Tat ein Beispiel dafür, wie schon sein Reimschema zeigt: abba – abba – cdecde (dass es sich eingebürgert hat, die letzten sechs Verse noch einmal durch eine Leerzeile in zwei Dreierblöcke zu trennen, ändert am eigentlichen Aufbau nichts!).

Sucht man bei Schiller nun nach solchen A-A-B-Stücken, also Gedichten in Kanzonenform, wird man sehr wohl fündig! „An die Freunde“ zum Beispiel hat fünf Strophen, von denen die letzte so lautet:

 

Größres mag sich anderswo begeben
Als bei uns in unserm kleinen Leben;
Neues – hat die Sonne nie gesehn.
Sehn wir doch das Große aller Zeiten
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten,
Sinnvoll still an uns vorübergehn.
Alles wiederholt sich nur im Leben,
Ewig jung ist nur die Phantasie;
Was sich nie und nirgends hat begeben,
Das allein veraltet nie!

 

Im Silbenbild sieht die bei „An die Freunde“ verwendete Strophe so aus – die drei Teile sind der besseren Übersicht wegen durch eine Leerzeile getrennt:

X x / X x / X x / X x / X x   a
X x / X x / X x / X x / X x   a
X x / X x / X x / X x / X      b

X x / X x / X x / X x / X x   c
X x / X x / X x / X x / X x   c
X x / X x / X x / X x / X      b

X x / X x / X x / X x / X x   d
X x / X x / X x / X x / X      e
X x / X x / X x / X x / X x  d
X x / X x / X x / X               e

Ein A-A-B, wie es im Buche steht … Der Vers ist der fünfhebige Trochäus, im Schlussvers auf vier Hebungen verkürzt; der b-Reim verbindet die beiden A-Dreizeiler, der Kreuzreim mit gänzlich neuen Reimen und dem verkürzten Vers ist die Änderung in Metrum und Reim, die den B-Teil ausmacht; der ist länger als ein einzelner A-Teil, aber kürzer als beide A-Teile zusammen.

Das angegebene Reimschema ist dabei das der ersten vier Strophen, also der „Normalfall“; hier, in der fünften und letzten Strophe, nimmt Schiller allerdings den Anfangsreim (sogar, passend zum Inhalt von V7, mit den gleichen Reimwörtern!) im dritten Teil noch einmal auf, so dass ein aabccbadad entsteht!

Diese Strophe könnte auch gut für sich stehen, wie ein Sonett; es ist Gedankendichtung, die sich auch wie ein Sonett gliedert: In V1-V3 wird ein Gedanke vorgestellt, in V4-V6 ausgeführt, in V7-V10 eine aus ihm gewonnene Erkenntnis ausgesprochen.

Wer mag, kann es Schiller nachtun und seine eigene Kanzonenform basteln, sein eigenes Sonett, wenn man so will; die Bausteine dafür liegen in kürzeren Strophen bereit, auch Schiller hat sich da nichts eigentlich neues einfallen lassen; den schließenden Vierheber hat er zum Beispiel schon in jungen Jahren in der (elendig langen) Allegorie „Der Venuswagen“ gebraucht:

 

Die ihr in das Eis der Bonzenträne
Eures Herzens geile Flammen mummt,
Pharisäer mit des Janus Miene!
Tretet näher – und verstummt.

 

Die ersten sechs Verse sind eine Schweifreimstrophe,  die Schiller gleichfalls schon in seinen ersten, scheußlich pathetischen Gedichten benutzt hat – aus der „Trauerode“:

 

Auf des Menschen kaltem, starrem Rumpfe
Sterben seine wirbelnden Triumphe,
Röcheln all in ein Gewimmer aus –
Glück und Ruhm zerflattern auf dem Sarge,
Könige und Bettler, Feige, Starke
Ziehn hinunter in das Totenhaus.

 

Und zusammen, wie gesehen: Bilden diese kürzeren Strophen einen kanzonenartigen Zehnzeiler.  Also, einfach umsehen, den eigenen Vorlieben gemäß auswählen und zusammenstellen – und dann mit Inhalt füllen!

(Man kann aber auch, aus Spaß und Neugier, Schillers Strophe nutzen. Das Königreich von Sede (93) zum Beispiel tut das, und auch da  gibt es eine leichte Abwandlung bei den Reimen …)

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