Bücher zum Vers (11)

Friedhelm Kemp: Das europäische Sonett. (Zwei Bände)

Diese beiden Bücher sind für alle, die sich ernsthaft mit dem Sonett beschäftigen, ein absolutes Muss. Aber auch für die mit mildem Interesse am Sonett lohnt sich die Beschäftigung mit „Das europäische Sonett“, weil das Sonett bis auf einige „Trockenzeiten“ immer in der europäischen Literatur gegenwärtig war und sich über die Kapitel hinweg so auch eine Art europäische Literaturgeschichte entfaltet.

Offiziell läuft das Werk unter der Flagge der „Münchner Universitätsschriften“, aber das Kemp keinen wissenschaftlichen Ton pflegt, wird schon in seiner Einleitung klar, wo es etwa heißt:

Wir müssen dem Gedicht nicht nur einen Mund, wir müssen ihm Augen einsetzen, von denen wir uns angeblickt fühlen. Nun, das ist eine Metapher, eine gefällig unverbindliche, wird man mir entgegenhalten. Aber man versuche einmal, gleichsam als magischen Akt, sich einem Gedicht wie einem Gesicht auszusetzen. Man vergesse, verjage das sogenannte „lyrische Ich“: setze das Gedicht vor sich auf einen Stuhl – einen Thron oder einen Schemel, gleichviel – sich gegenüber als Freund, als Bruder, als Geliebte; über sich als einen Richter; setze sich ihm aus, präge es sich ein, Wort für Wort, Satz für Satz, Bild für Bild, als dürfe man es nicht vergessen, als gäbe es jetzt – und immer wieder – nur dieses eine Gedicht einem gegenüber und auch schon in einem, als etwas Schönes, etwas Forderndes, etwas, das einen angeht, heute, morgen und immer wieder.

Langweilig zu lesen ist Kemps Werk also schon einmal nicht. In den einzelnen Kapiteln stellt er dann verschiedenste Sonettisten und ihre Gedichte vor, grob an der Zeitlinie ausgerichtet. Ziemlich am Anfang steht dabei Dante Alighieri. Kemp:

Die erste entscheidende und bis zu uns hin lebendige Gestalt in der Geschichte des Sonetts ist Dante Alighieri, der 1265 in Florenz geboren wurde und 1321 als Exilant in Ravenna starb. Seine „Vita Nova“, die in ihrer Endfassung als ein Werk des Achtunszwanzigjährigen um 1293 entstanden sein dürfte, dieses „Neue Leben“ präsentiert sich uns als erste durchkomponierte Sammlung von Sonetten und als eine quasi autobiographische Novelle. Das hat nicht zu unterschätzende Folgen bis in unsere Zeit gehabt.

Trockener und informationslastiger wird der Text aber nie. Auf den 28 Seiten des Dante-Kapitels werden stattdessen Sonette Dantes ausgebreitet samt verschiedener Übersetzungen und Kommentare, sowohl von Kemp als auch von früheren Schreibern. Ich denke, ich hänge noch eines dieser Sonette an. Wieder Kemp:

Im 25. Kapitel [der „Vita Nova“] schildert Dante, wie Beatrice [Dantes „Herrin“] ihm in Begleitung einer anderen Dame, der Herrin eines seiner Freunde, und noch des öfteren auf der Straße begegnet. „Jene holdseligste Frau schritt einher, bekränzt und gekleidet mit Demut. Und es sagten ihrer viele, wenn sie vorübergegangen war: ‚Dies ist kein Weib, sondern der schönsten Engel einer des Himmels.‘ Und andere sagten: ‚Diese ist ein Wunderwerk. Gepriesen sei der Herr, der solche Wunder zu wirken weiß!‘ Solche wundersame Macht ging von ihr aus, dass ich den Griffel wieder aufnahm, dieses Sonett zu machen zu ihrem Preise, welches anhebt Tanto gentil e tanto onesta pare …“

Dann folgt erst der Original-Text von Dante …

 

Tanto gentil e tanto onesta pare
la donna mia quand’ella altrui saluta,
ch’ogne lingua deven tremando muta,
e li occhi no l’ardiscon di guardare.

Ella si va, sentendosi laudare,
benignamente d’umilta‘ vestuta;
e par che sia una cosa venuta
da cielo in terra a miracol mostrare.

Mostrasi si‘ piacente a chi la mira,
che da‘ per li occhi una dolcezza al core,
che ’ntender non la puo‘ chi no la prova;

e par che de la sua labbia si mova
uno spirito soave pien d’amore,
che va dicendo a l’anima: Sospira.

 

… und dann die wunderbare deutsche Übersetzung, die Hugo Friedrich in seinen „Epochen der italienischen Lyrik“ vorstellt (auch ein sehr empfehlenswertes Buch!):

 

So edel und so heilig rein erscheint
Die Herrin mein all denen, die sie grüßt,
Dass jede Zunge zittert und verstummt
Und sich kein Aug‘ auf sie zu richten wagt.

Sie geht vorüber, hört sich ringsum rühmen
Und ist in Demut eingehüllt und Güte.
Ein Wesen scheint sie, das vom Himmel kam,
damit auf Erden sie ein Wunder weise.

Sie weist so lieblich sich dem Schauenden,
Dass Süße durch sein Aug‘ ins Herze dringt,
Die, wer sie nie erfuhr, auch nie begreift.

Und’s ist, als ob von ihrer Lippe her
Ein Hauch sich regte, leise, reich an Liebe,
Und zu der Seele spräche: Sehne dich.

 

Im Besonderen das letzte Terzett ist einfach herrlich. Hier lässt sich Kemp dann noch über Querbezüge zu anderen Gedichten aus oder über die Beziehung von „Spirito“ und „Sospira“, aber dazu schweige ich jetzt mal; ich denke, ein Eindruck sollte da sein.

Wer sich nun für dieses Buch interessiert – „googlebooks“ hat es ins Netz geholt, zum großen Teil wenigstens; wer mag, kann also schon mal ein wenig probelesen. Erschienen sind die beiden schön gemachten Bände Kemps im Jahre 2002 im Wallstein Verlag!

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