Erzählverse: Der trochäische Fünfheber (17)

Angehenden Prosaerzählern wird oft geraten, sich am Beginn eines Textes nicht mit dem Wetter oder der Landschaft aufzuhalten; besser, man setzt gleich mit der Handlung ein. Ob das ein guter Rat ist, weiß ich nicht – die Prosa ist nicht meins; in der Verserzählung lassen sich die Verfasser jedenfalls oft Zeit. Und warum auch nicht? Der verwendete Vers, an sich und in der Art, wie der jeweilige Verfasser ihn handhabt, wird so dem Leser vertraut, ehe das eigentliche Geschehen die Aufmerksamkeit beansprucht …

 

An des Abendmeeres fernem Saume
Ragt aus blauer Flut ein Felseneiland,
Haldenreich, durchrauscht von Sprudelbächen,
Über denen sich der Eichenwälder
Wipfelkronen sanft im Meerhauch wiegen
Und den langen Schatten auf die flieh’nden
Wellen niederstreuen. Auf den Berghöhn
Spielen Rehe, schlanke Antilopen,
Ungefährdet von der Menschen Mordgier;
Denn nichts wissen von des Jagens grauser
Lust die Hirten, die nach Vätersitte
Über ihrer Insel Klippenhänge
Hin von Trift zu Trift, von Tal zu Tale
Mit den Herden ziehn.

 

– So beginnt Adolf Friedrich von Schacks kurze (und sonst nicht weiter bemerkenswerte) Erzählung „Der Tod des Apostels“ und stellt dabei einen Vers vor, der sich weitestgehend dem Satz unterordnet und sich damit begnügt, diesen eher unmerklich zu formen. Nach dreizehneinhalb Versen betulicher Naturbeschreibung, an deren Ende der Mensch sich noch etwas zaghaft ins Bild zu fügen beginnt, setzt mit einem neuen Absatz und mit der zweiten Hälfte des abgebrochenen Verses die Handlung ein:

 

In Morgenfrühe
Klimmt ein junges Weib vom höchsten Felsen,
Der vom Ufer steil ins Meer hinausragt,
Mit den Kindern an den Strand hinunter.

 

Und spätestens hier wird deutlich: auf eine hohe Erzähleschwindigkeit wird der Text auch im weiteren keinen Wert legen …

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