Karl Immermanns satirisch-humoristisches Versepos „Tulifäntchen“ ist ohne Frage ein Meisterwerk; seine anderen Verstexte fallen dagegen bemerkbar ab. Hier aber trotzdem einige Distichen aus „Reizende Weisheit“! Das ist ein Gespräch zwischen dem „Ich“ und „Rosalie“:
Gestern fragte sie mich: „Du bist so schweigsam, du küssest
Viel zu wenig, mein Freund – ward dir die Liebe zum Schmerz?“
„Teure“, sagt‘ ich, „die Liebe ist Lust und der ewigen Schönheit
Herrlichprangendes Kind, Knospe und Blüte und Frucht.
Sprich, was soll sie bei uns? Was soll das zarte Geheimnis
In der ernüchterten Zeit, in der entgötterten Welt?
Siehe, drum weinet aus mir die sich selber beweinende Liebe,
Eros weinet aus mir, der die Verbannung beklagt.“
Und noch ein gutes Stück so weiter, bis Rosalie dem Gejammere ein Ende setzt:
„Lieblich schauet die Rose der Lust aus der atmenden Lippe,
Pflücke sie, eh‘ sie verwelkt, küsse mich, grübelnder Freund!“
Wie ernst das gemeint war, als es geschrieben wurde, ist mir nicht ganz klar; heute wirkt es unausweichlich komisch … Aber, wie immer: Wenn etwas entschlossen und unbeirrt durchgehalten und umgesetzt wird, gewinnt es Überzeugungskraft, sei es auch noch so albern oder sonstwie unpassend. Die gewählte Form, das Distichon, und die erkennbare Sicherheit in der Versgestaltung tragen dazu sicher bei!