Es gibt unzählige Sonette über das Sonett, und nicht viel weniger Distichen über das Distichon; bei anderen Formen sind solche „Selbstbezüge“ seltener, aber immer doch vorhanden. Emanuel Geibel hat zum Beispiel „Deprekation“ geschrieben, und als Untertitel / Gattungsbezeichnung „Epistel“ hinzugefügt; und diese Epistel handelt – vom Briefeschreiben. Der Anfang:
Stets von allem Geschäft in der Welt das verhassteste war mir,
Briefe zu schreiben. So leicht mir das Wort in lebendiger Rede
Fließt, wenn die Sache mich reizt, so schwer entströmt es der Feder,
Langsam, brüchig und kalt, als ob auf dem längeren Umweg
Aus dem Herzen aufs Blatt mir Gefühl und Gedanke gefrören.
Kaum, dass ich munter begann, gleich blickt die verwünschte Kritik mir
Über die Schulter herein, und den Ausdruck allzu bedenklich
Wägend verpfusch‘ ich ihn leicht zu farblos steifer Korrektheit,
Statt im behaglichen Fluss frischweg von der Leber zu plaudern
Ganz, wie der Schnabel mir wuchs. (…)
Das sind, wie immer bei Geibel, formsichere, aber nicht besonders aufregende Verse, die zum Verständnis des Hexameters aber gerade darum viel beitragen können. Ihr Inhalt jedenfalls scheint in Bezug auf Geibel als Briefeschreiber wahr gewesen zu sein – der Schauspieler Max Grube schreibt diesbezüglich:
Besonders peinigten ihn die Antwortschreiben auf die ihm zur Prüfung übersandten Manuskripte, welche oft von recht unberufener Hand herrührten, die er aber doch mit rührender Gewissenhaftigkeit behandelte.
Einmal hatte ihm eine Dame vier Bände Poesie geschickt, noch dazu in augenmörderischer Schrift. Geibel war empört. „Diese Frechheit, rief er einmal über das andere, „aber ich habe es ihr auch geschrieben – eine wahre Unverschämtheit!“ Nach einer Weile setzte er hinzu: „Item, lieber Grube, Sie können mir ehrlich sagen, ob ich nicht zu grob geworden bin. Ich habe den ganzen Vormittag über den Brief gedacht.“ Und nun produzierte er ein Schreiben,
Mit dem könnt‘ eine Edelfrau
Am höchsten Feiertage geh’n.
Er erklärte es jedoch für den Inbegriff aller Grobheit und ich fürchte, er hat es sich noch einen Vormittag kosten lassen, um den herben Inhalt in noch freundlichere Worte zu fassen.
Das eingeschobene Zitat ist aus dem Faust I, wo der erste Vers vollständig „Ein Schmuck! Mit dem könnt‘ eine Edelfrau“ lautet. Aber man versteht, wie Geibel auf seine eigene, in der Epistel geäußerte Einschätzung kommt … Anders erging es ihm, so seine Aussage später in der Epistel, mit seinen Dichtungen, die nicht am Schreibtisch entstanden, sondern
Draußen im Freien, auf schweifendem Gang, wenn der Odem des Frühlings
Leis hinzog durch den Wald, mich bezaubernd, oder zur Herbstzeit,
Wenn von den Wipfeln das Laub sacht rieselte, goldenen Tränen
Ähnlich, und tief im Gemüt die entschlummerte Schwermut weckte.
Oder im Bette, des Nachts, aufdämmert‘ es mir, und am Morgen
War es zu Rhythmen erblüht, und fertig schrieb ich es nieder.