Der Mittelteil von „Vor dem Zuchthause“, geschrieben von Otto Ernst, liest sich so:
Wer aber diesem steinernen Gespenst
In sturmzerriss’ner Nacht vorüberschreitet,
Dem bohrt sich ein Gedanke tief ins Hirn,
Und in das Ohr raunt ihm ein Unsichtbarer:
„Sieh diese Stätte schuldbeladnen Elends
Und überschlag’ den Wert der eignen Tugend!
Wer fiel von diesen, deren Klageruf
An unbarmherzig kalte Mauern gellt –
Wer fiel in Schande, weil du mitleidlos
An seinem Jammer einst vorübergingst,
Als er noch gut war, doch vom Glück verlassen?
Wer fiel in Schande, weil du ihn verkannt?
Wer fiel in Schande, weil du seiner Jugend
In frevlem Leichtsinn eitle Lehren gabst,
Die abwärts führten, statt hinauf zum Lichte?
Wer fiel in Schande, weil du lässig warst,
Zum Guten ihn zu führen, seine Seele
Mit reinem Himmelslichte zu erfüllen,
Weil du in Faulheit deines eignen Wohlseins
Behaglich nur gewartet und sein Herz
Dalag, ein toter Acker, nur bedeckt
Vom Herbstesnebel eines öden Daseins?“
Da spricht ein „Unsichtbarer“, der dafür ziemlich tief in die Rhetorikkiste gegriffen hat; und damit durchaus Wirkung erzielt! Durchaus auch in Verbindung mit dem Blankvers, der sich hier zwar nicht in den Vordergrund drängt (macht er ja ohnehin selten), aber doch mitgestaltet und dem Text eine Festigkeit verleiht, die seinem Gegenstand bzw. dessen Ernst entspricht und daher ein „Mehr“ ist.