Erzählverse: Der Hexameter (11)

Eduard Mörikes „Epistel“

Mörikes „Epistel“ ist eine recht kurze Hexameter-Dichtung:

 
Wie sich dein neuer Poet in unserem Kreise gefalle?
Nicht zum besten. Er meint, man verstünd ihn eben auch hier nicht.
Jetzo hat er ein griechisches Epos, hör ich, die Argo-
nauten, heroische Form, auf dem Amboss. Segn’ es der Gott ihm,
Aber zu lesen begehr ich es nicht. Glaub mir, das ist auch so
Eins von den sauren Genies, dergleichen wir mehrere kennen.
Wortkarg streicht er den Schnurrbart sich, wie verstimmt und befangen,
Wenn man des Trefflichsten irgend gedenkt von den Alten und Neuen;
Oder er mäkelt daran mit kleinlichem Tadel, von fern erst,
Bis er, hitziger werdend im Streit, Maßloses daherschwatzt
Und wie ein stätischer Esel hinausschlägt, wo es auch hintrifft.
Das sind schlimme Symptome. – Vernimm ein homerisches Gleichnis
(Pflegten wir doch vormals in parodischer Laune zuweilen
Stundenlang nach der Weise des göttlichen Alten zu reden)
Gleichwie die gelbliche Birne zur Herbstzeit, wenn sie gereifet
Fiel vom Ast und im Fall von der dornigen Hecke verwundet
Liegt am Boden, alsbald mit schwärmenden Wespen bedeckt ist,
Welche sie rings aushöhlen, die gierigen Kiefer bewegend –
Also strotzet sein Herz von wilden Gedanken der Ehrsucht
Und des verzehrenden Neids. Ihn blendete völlig ein Dämon.

 
In diesem kurzen Stück hört man schon den ganzen Mörike: Freundschaftlich und humorvoll im Ton behandelt er nicht irgendwelche gewichtigen Weltfragen, sondern erzählt von dem Eindruck, den jemand im persönlichen Aufeinandertreffen hinterlassen hat. Sein Hexameter passt sich dem an, er ist sich seiner selbst bewusst und fließt dabei unaufgeregt-heiter dahin, ohne langweilig zu wirken. Zum lockeren Ton passt natürlich auch der spielerische Bezug auf die Antike.

Ein paar der Verse sind vom Aufbau her recht bemerkenswert.

Bis er, hitziger werdend im Streit, Maßloses daherschwatzt

Hier gibt es dieselbe Abweichung vom der Hexameter-Form zu beobachten wie bei Schiller:

Bis er, / hitziger / werdend im / Streit, || Maß- / loses da- / herschwatzt

Das „Maß-“ von „Maßloses“, das ja eigentlich die Betonung tragen müsste, wird auf die Stelle einer unbetonten Silbe gesetzt, und das natürlich auch, aber eben schwächer betonte „-los-“ rutscht auf die betonte Versstelle. Wieder bleibt, wenn man nicht gegen den Versbau lesen will, nur die Möglichkeit, die drei Silben „Streit, Maßlos-“ mit demselben Nachdruck zu sprechen.

Diese Erscheinung rührt aus der Zeit her, als die deutschen Dichter durch Versuch und Irrtum erprobt haben, wie stark der deutsche Hexameter die Eigenheiten des antiken Hexameters übernehmen soll, kann, darf. Dieser sogenannte „geschleifte Spondäus“ wurde oft versucht, wirkt aber im deutschen Vers fremd und sollte daher als Bereicherung gesehen werden, die es aber sparsam einzusetzen gilt an Stellen, die eine Heraushebung verdienen.

Mörike hat hier eine solche Gelegenheit und nutzt sie: Dadurch, dass sich ja gewissermaßen eine zusätzliche Betonung in den Vers schleicht, vertont er die geschilderte Maßlosigkeit aufs Schönste!

Noch ein zweites Beispiel dafür findet sich:

Aber zu lesen begehr ich es nicht. Glaub mir, das ist auch so

Hier ist die Versbetonung gar nicht so einfach aufzuspüren?!

Aber zu / lesen be- / gehr ich es / nicht. || Glaub / mir, das ist / auch so

Ausgerechnet das „glaub“, das in dieser Versgegend das prosodisch bei weitem gewichtigste Wort ist, steht auf einer unbetonten Stelle! Da bleibt nur, wie eben die drei roten Silben auf einer Stärke zu lesen. Was bewirkt das hier, was soll es nach Mörikes Absicht bewirken? Ich weiß es auch nicht wirklich, aber ich nutze es immer, um dem „Glaub mir“ einen beschwörenden Ton zu geben, was eigentlich auch ganz gut klappt.

Na, und immer so weiter. Ich ergänze einfach noch diese beiden Verse:

Und wie ein stätischer Esel hinausschlägt, wo es auch hintrifft.

Welche sie rings aushöhlen, die gierigen Kiefer bewegend –

Das „homerische Gleichnis“ gegen Ende ist im ersten Augenblick etwas verwirrend aufgrund des Satzbaus; „die gierigen Kiefer bewegend“ habe ich mir dagegen sofort gemerkt. Sehr schöner Ausdruck! Jedenfalls weisen diese beiden Verse die nämliche Eigenheit auf?

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