Metrische Lehrbücher des 19. Jahrhunderts zeichnen sich auch aus durch, na, ich sage einmal: Meinungsfreudigkeit. Oft sind sie viel stärker vorschreibend als beschreibend, und was der Vorschrift dann nicht entspricht, hat halt Pech gehabt …
Ein Beispiel ist da Friedrich Schmitthenners „Ausführliche teutsche Sprachlehre“ aus dem Jahre 1828. Darin findet man Sätze wie diesen:
Die Geschichte des Hexameters unter den Teutschen ist zugleich eine der Verirrungen des Geschmackes; die hässlichsten Verse sind unter seinem Namen gebildet worden.
Dieses Urteil veranschaulichen sollen auch Verse von Wieland. „Die Güte des Herren“ schließt der einen Vers, um dann fortzufahren:
Ist die Mutter der Freude, des ruhigen Lächelns der Unschuld
Und der erhab’nen Entzückung, die bis zum Throne hinaufflammt.
Was hier Schmitthenners Zorn herbeiruft, wird nicht gesagt; ich denke, es sind vor allem die beiden zweisilbigen Versfüße „Ist die“ und „bis zum“ – schließlich schreibt Schmitthenner:
An den daktylischen Sechsfüßler ergehen die unnachlässlichen Forderungen:
1. Dass der Daktylus nirgends durch einen Trochäus vertreten werde, weil er verständigerweise nur den Spondeus, als einen Fuß von gleicher Dauer, zum Stellvertreter haben kann.
Das kann man so sehen – schade nur, dass man damit allen Hexametern Klopstocks, Goethes, Schillers und Hölderlins jeglichen Wert abspricht … Erfordert etwas Mut, sicherlich?! Vorsichtige Naturen beschränkten sich wahrscheinlich darauf, im zweisilbigen Fuß eine ausreichend starke Hebungssilbe anzumahnen; „Ist“ und „bis“ leisten das kaum, aber auch das ist nichts, was ein achtsamer Vortrag nicht ausgleichen könnte …
Die zweite dieser „unnachlässlichen Forderungen“ aber beindruckt zum einen durch ihre Gewissheit, die durch die Kargheit des Ausdrucks wunderbar deutlich wird; zum anderen dadurch, dass sie tatsächlich wahr ist:
2. Dass die Mittelruhe stattfinde.
Meint: Ein Hexameter ohne Zäsur ist keiner. Und das stimmt, ohne jedes Wenn und Aber.