Die Schmeißfliege

Ich lese immer noch in Böttigers „Literarischen Zuständen und Zeitgenossen“ …

In seinem Vorwort zum 1997 im Aufbau-Verlag erschienenen Buch schreibt (Mit-)Herausgeber René Sternke:

Der Autor verstand es, ohne es zu beabsichtigen, verschiedene seiner Zeitgenossen, unter ihnen Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder, die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Schelling, so zu verärgern, dass sie ihn öffentlich als „Arschgesicht“, „Vogelscheuche“, „Lügner“ oder „Schmeißfliege“ verunglimpften.

Eine eindrucksvolle Liste … Und so ganz unrecht hatten die Geistesgrößen nicht; Böttiger lässt sich oft zu Klatsch und Tratsch hinreißen. So berichtet er etwa über Ferdinand Justus Christian Loder, damals schon ein bekannter Mann, der später noch zum Leibarzt von Königen und Zaren werden sollte:

Seinen anatomischen Vorträgen weiß er da, wo die Zeugungsteile vorkommen, alle mögliche Würde zu geben. Bemerkt er, dass fremde Studenten aus sträflicher Neugier gerade diese Stunde zum Hospitieren abgepasst haben, so ruht er nicht eher, als bis diese abgetreten sind, oder er behandelt sogleich außer der Ordnung eine andere Materie.

So weit, so harmlos (wenn man sich auch fragen kann, warum das mitteilenswert ist). Der Punkt lässt Böttiger aber nicht los – drei Sätze später schreibt er:

Wegen eines monströs großen Penis in seiner Präparatensammlung hat er viel Ärger ausgestanden. Er wusste diese Rarität bei einem angesehenen Bürger in Jena noch bei Lebzeiten des Besitzers zu entdecken, und brachte (es) durch Bestechung des Totengräbers dahin, dass er dies schöne Specimen noch aus dem Sarge rettete. Unglücklicherweise hatte die Frau des Verstorbenen Verdacht geschöpft und verlangte nun vom Totengräber, dass er ihr den Sarg noch einmal öffnen solle, weil sie sich nicht eher zufriedengeben könne, als bis sie wisse, es sei mit dem Leichnam ihres Mannes nichts unrechtes vorgegangen.  Als der Totengräber keine Ohren dazu hatte, wandte sie sich an den Stadtrat und verlangte von diesem die Erlaubnis, und nur durch strenge und standhafte Verweigerung konnte man es dahin bringen, dass sie sich zwar nicht beruhigte, aber doch nichts zu unternehmen wagte.

Und dass er sich mit dergleichen eher keine Freunde macht, hätte er wissen können … Aber heute, keine Frage: liest sich sein Buch auch wegen dieser Klatsch-Geschichten sehr angenehm, weil abwechslungsreich!

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