Erzählverse: Der Hexameter (12)

Über Daktylen (2)

Ein kurzer Nachtrag zu „Der Hexameter (8)“, also einige ergänzende Gedanken zum „Daktylus“.

Um 1740 fühlten sich die deutschen Dichter eingeengt vom allesbeherrschenden gereimten Alexandriner und fingen an, nach anderen Möglichkeiten zu suchen. Johann Peter Uz schuf eine reimlose Strophe, in der er die eigentlich einsilbigen Senkungen des Alexandriners manchmal zweisilbig füllte, und diesen Vers dann mit einem Vierheber abwechselte. So entstand sein vielbeachteter „Frühling“, der sich später durchaus als ein Schritt auf dem Weg zum deutschen Hexameter erweisen sollte. Die erste Strophe:

 

Ich will, vom Weine berauscht, die Lust der Erde besingen,
Ich will die Zierde der Auen erhöhn,
Den Frühling, welcher anitzt, durch Florens Hände bekränzet,
Siegprangend unsre Gefilde beherrscht.

 

Bemerkenswert ist nun, wie peinlich genau Uz darauf achtet, die zweisilbigen Senkungen mit dem zu besetzen, was Kauffmann (siehe „H. 8“) eine „doppelte Senkung“ nennt („es tritt keine Abstufung hervor“)!

Ich will, vom Weine berauscht, die Lust der Erde besingen,
Ich will die Zierde der Auen erhöhn,
Den Frühling, welcher anitzt, durch Florens Hände bekränzet,
Siegprangend unsre Gefilde beherrscht.

Das scheint mir ein schönes Beispiel dafür, wie der Wille zur formalen Gestaltung die Sprache prägt. Die Anzahl der Wörter mit Vorsilbe ist unglaublich hoch, während die einsilbigen Präpositionen immer als einsilbige Senkung auftauchen:

Ich will, vom Weine berauscht, die Lust der Erde besingen,
Ich will die Zierde der Auen erhöhn,
Den Frühling, welcher anitzt, durch Florens Hände bekränzet,
Siegprangend unsre Gefilde beherrscht.

Manchmal steht eine solche Präposition auch als Hebung, fast nie in siebzehn Strophen aber als Bestandteil einer zweisilbigen Senkung. Eine Ausnahme:

 

Was lebt, im Wasser, auf Erd und in den ewigen Höhen;

 

Was lebt, im Wasser, auf Erd und in den ewigen Höhen;

Hier sind alle drei Arten vertreten: „lebt im“ (Präposition als einsilbige Senkung), „in den“ (Präposition als Hebung), und eben „Wasser auf“ – einer von Kauffmanns „echten Daktylen“.

Es spricht für den Dichter Uz, dass sich im Gedicht selbst diese gestalterischen Überlegungen überhaupt nicht bemerkbar machen – die Sprache wirkt überall völlig natürlich, obwohl durch die Beschränkung auf diese eine Daktylen-Art sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten wegfallen.

Schlussendlich hat sich Uz, wie bekannt, aber nicht durchgesetzt mit dieser Form der zweisilbigen Senkung. Die anderen Arten liegen zu nahe und sind zu sehr Bestandteil des Deutschen, als dass es Sinn machen würde, sie auszuschließen. Gerade die „echten Daktylen“, die als zweite unbetonte Silbe eine Präposition haben, haben ja auch einen großen Vorteil: Durch sie schneiden sich im allgemeinen metrische Einheit und Sinneinheit, was den Vers lebhaft hält. Ein Hexameter-Beispiel, der Beginn von Hölderlins Archipelagus:

 

Kehren die Kraniche wieder zu dir, und suchen zu deinen
Ufern wieder die Schiffe den Lauf? (…)

 

Kehren die / Kraniche / wieder zu / dir, || und / suchen zu / deinen

Nun ist „zu“ ja nicht eben ein schweres Wort, und der Sinneinschnitt ist auch sehr leicht – aber es ist eben doch eine Form der Gestaltung, die sinnvoll ist und bei Uz nicht möglich wäre.

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