Erzählverse: Der Hexameter (169)

Joseph Friedrich Kepplers „Der Aufstand der Dummheit zu Wien“ ist kein übermäßig beeindruckender Text, der auch in Bezug auf den Versbau nicht herausragt; aber man kann ihn sich schon anschauen … Einige Verse als Beispiel:

 

Und mit klingendem Spiel marschierten die Narren auf Wien zu.
Schon itzt zeigte der Turm sich, der mit erhabenem Stolze
Über die höchsten Gebirge hinaus die Ferne beschauet;
Freudig juchzte die Schaar beim Blick, verdoppelte Schritte
Brachten sie bald vor den Mauren der prächtigen Wienstadt zusammen.
Hier auf Befehl des Königs machten sie halt; die Posaunen
Foderten trotzig die Stadt auf, zur Fahne der Dummheit zu schwören.
Da sie sich weigerte, dieses zu tun (es waren der Weisheit
Gutgesinnte Männer darinnen), so ging ein Befehl aus:
„Wer die Göttin der Dummheit zur Schutzpatronin erwählt hat,
Soll sich sogleich aus der Stadt zu dem Lager der Narren begeben.“
So wie in einem bevölkerten Bienstock die Bienen sich drängen,
Wenn sie die blumichten Felder zum Honigsammeln einladen,
Also drangen in Haufen die Freunde der Dummheit ins Lager,
Aus den Kellern und Böden, Schenken, Palästen und Klöstern,
Bürger und Räte, Doktoren, Petriner und Mönche, kurz alle,
Die schon lange als Stützen der Dummheit in hiesiger Hauptstadt
Rühmlich bekannt sind. (…)

 

Da gibt es zwei, drei Mal ein wenig unsaubere Zäsuren, aber sonst: allemal mit Schwung lesbar! Und abgesehen davon war der Verfasser beim Erscheinen des Werkes 1781 gerade einmal 20 Jahre alt – und der Hexameter ein Vers, der seine „richtige“ Form noch lange nicht gefunden hatte …

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