Erzählverse: Der Hexameter (178)

Hexameter und Reim vertragen sich nicht. Am wenigsten fällt das wohl auf, überführt man den Hexameter in eine Strophe und verbindet ihn darüber hinaus mit anderen Versen. Zwei Beispiele:

 

Wettgesang

Heute belauscht‘ ich am Bach wetteifernde Hirtengesänge,
Und schwellend hob sich meine Brust
Beim anschmeichelnden Hauch einfältiger landlicher Klänge
Von Liebesleid und Sommerlust.
Kunstlos war der Gesang, auch prunklos waren die Singer,
Und selber schmucklos war die Flur;
Doch vom Himmel ein Glanz war irdischer Mängel Bezwinger,
Ich sah verklärte Lichtnatur.
Hört, nicht wie es entsprang, wie mir in bezauberten Ohren
Das umgebot’ne Hirtenlied
Sein ursprüngliches Nackt im tönenden Schmucke verloren,
Und wie ich selbst den Streit entschied.

 

– Friedrich Rückert. Ein Hexameter und als Kurzvers dabei ein iambischer Vierheber – ein „iambischer Dimeter“, wie das die Alten genannt hätten. Insgesamt ein „1. pythiambisches Distichon“ (das 2. hat einen sechshebigen Iambus – einen „iambischen Trimeter“ – als Zweitvers). Rückert nennt das ein „modernes Idyll“ – passt wahrscheinlich, „Alte Form“ + „Reim“?!

 

An Braga (erste Strophe)

Komm, du Geber des Sangs, Apollens Besieger o Braga,
Bei mir warten dein Braten und Fisch,
Komm, sonst hol dich der Teufel, Papa der Barden und Aga,
Komm an meinen beschüsselten Tisch!

– Ludwig Hölty. Auch eine alte Form, ein „alkmanisches Distichon“, Hexameter + katalektischer daktylischer Vierheber, eben ein „alkmanischer Vers“, wahrscheinlich in aller Kürze so am sinnvollsten darstellbar: X x (x) / X x (x) / X x x / X. Zwei solcher Distichen in einer Strophe verbunden, und wie bei Rückert kreuzgereimt – das scheint möglich? Auch hier ein Gegensatz zwischen Süden (alte Form) und Norden (Reim); das muss aber sicher nicht sein. („Papa„, übrigens, wie damals üblich …)

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