Erzählverse: Der Blankvers (20)

„Die Beichte Bocchino Belfortis“ findet sich im Gedicht-Band von Rudolf Borchardts „Gesammelten Werken“, erschienen 1957 bei Klett-Cotta, auf den Seiten 398-413; ein längeres Stück also, das aber trotzdem ausschließlich von der wörtlichen Rede eines einzelnen Menschen bestritten wird – kein wirkliches Selbstgespräch, doch andere Anwesende sind nur zu erahnen durch die Worte, die an sie gerichtet werden. Der Anfang:

 

Weil ihr mich eben anseht. – Weil der Teufel
Euch Züge gibt wie meine, mich zu äffen. –
Weil ich sonst nicht verhandle mit der Luft
Noch eines Menschen Schemen, oder einem
Der so wie Mönche aussieht, doch nur aussieht,
Und ist vielmehr bloß ein Stück tünchen Werk,
Die Hände in der Kutte, grau auf grau,
Und steht am Pfeiler, rechts in San Matteo
Zu Pisa, wenn ihr in den Chor wollt. – – Wasser!
Ah Wasser! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – Sagt mir, wo bin ich, wie nennt sich
Der Ort hier? – Ah. Venosa. – Ja, ich weiß,
Ich fiel hier krank … Ihr wollt mir …? Ja, ich weiß,
Ich soll hier sterben. Bischof von Venosa,
Belforti nehmen keine fremden Dienste.
Belforti sind die Könige der Mark
Volterra, und dass ich hier Reisepage
Des Erzbischofs, vielmehr sein Familiar
Zu sein euch dünke, kommt von diesem Fieber,
Das auf der Reise mich befiel. Raimondo
Wird euch vermelden, wer Belforti sind;
Mein Diener. Guter Leute Kind. Recht brav.
Ich bin kein Page. Es ist eine Wette,
Bischof, Verabredung; ihr werdet wissen,
Wie das der Brauch ist unter großen Herren,
Kleider zu tauschen, Leute anzubinden.
Ich bin sehr jung, jedoch kein Page. Bin
Sehr jung und darum sollt ich, weil das Fieber,
Mit dem Erzbischof reisend, mich befiel,
Hier in Venosa, in Venosa sterben.
Das ist sehr einfach. – Das ist Logica.
Sehr einfach, deutlich. – – Wer das nicht versteht,
Und Zweifel hegt, und hinten, da, so frech,
Mit dieser Warze auf der Nase, da
So lacht, und sagt „He Page“ und „Bocchino“ –
– Loslassen! Meinen Degen! Ich durchrenn ihn,
Den Hund! Den Pastasciutta! Was? Du mir?!
Des Schiedsspruchs wegen, da dus schon verdient,
Das Leben dir gefristet, Hundemönch,
Pisanische Grimasse, – – wie, und jetzt,
Als wär das nie gewesen mit dem Abt
Von San Matteo, und dem Buben-Schiedsspruch,
Den ich im Stiefel tragend heimwärts ritt,
Zu sagen „Nichts“ und „Nichts da von Vergeltung“,
„Kein Geld, wir sind nichts wert“, zu sagen „Was?“
Und wenn sie von der Mauer schon, die Köpfe
Zusammen, schreien, schon von weit, „wieviel?“,
So muss ich hochstehn in den Stegereifen
Bergan und leere Hände schütteln aufwärts
Zur leeren Stadt und in die leeren Häuser
Und leeren Säckel und muss schreien „Nichts!
Nichts, garnichts, nichts, und drei Belforti tot!
Nichts, garnichts, es ist nichts mehr mit Belforti!“
Und darum sag ich, Degen her! – – – Ah kalt. –
Ah gut. – Venosa. Freilich ja Venosa.
Und sterben – gut. Ja, freilich. Ja ich dank euch. –

 

Nur die ersten 56 der insgesamt 471 Blankverse; und bis zur eigentlichen Beichte ist es dabei noch nicht einmal gekommen. Aber dieser Ausschnitt ist sicher lang genug, um den wirklich ganz eigenen Ton zu vermitteln, den Borchardt hier findet. Wortgewaltig, zerfahren, bedrückend, und doch so, das man nicht wirklich loskommt; und das ohne zu wisssen, was hier eigentlich verhandelt wird. Wer das erfahren möchte, kann sich im Netz umschauen, da ist der restliche Texte weitgehend zu finden, und Wissen zu den „Belfortis“ auch; wen nur kümmert, wie Borchardt seine Verse angelegt hat, um diesen Eindruck zu erreichen, müsste mit den 56 Versen hier auskommen?!

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