Die Bewegungsschule (1)

Was für ein Vers am Ende stehen soll, wird noch nicht verraten. Es wird ein Vers sein, der zu fremd ist, als dass man ihm zum Beispiel mit den Mitteln des alternierenden Reimverses beikommen könnte; und doch so vertraut, dass man mit ein wenig Geduld die Sprache erkennbar gestaltet und doch frei in ihm fließen lassen kann.

Die Grundeinheit des Verses ist das „tataTAM„, was meint: auf zwei unbetonte und leichte Silben folgt eine betonte schwere Silbe. Ich versuche, beide Eigenschaften – „unbetont oder betont“ und „leicht oder schwer“ gleichzeitig sichtbar zu machen; betonte Silben sind fett, unbetonte nicht fett; leichte Silben sind kleingeschrieben, schwere Silben sind großgeschrieben.

Der erste Schritt  zum späteren Vers ist nun: das Sammeln von tataTAMs.Da dieses um ihrer selbst geschieht, muss dabei keinerlei Rücksicht genommen werden auf die besonderen Bedingungen, die später im Vers herrschen werden, und man kann sich nach so reinen Vertretern umsehen, wie sie eben möglich sind!

In diesem Sinne empfehle ich, für die „ta“ Silben und Wörter zu verwenden, die schon „an sich“ eher leicht sind: also Hilfsverben, Pronomen, Präpositionen, Artikel, Vorsilben und dergleichen mehr: die „Bauwörter“ der Sprache. Die „TAM“ sollten dagegen zu den „Sinnwörtern“ gehören: Substantive, Adjektive, Verben, Adverben.

Außerdem: Die Silben und Wörter sind „leicht“, wenn sie kurze Vokale und wenig Konsonanten enthalten; sie sind „schwer“, wenn sie lange Vokale oder Diphtonge und viele Konsonanten enthalten.

So gesehen ist, für den Fall, dass alle drei Silben des tataTAMs mit einsilbigen Wörtern besetzt sind, „durch das All“ das schlechtere tataTAM verglichen mit „der vor Schmerz„!

Welche Möglichkeiten gibt es, derartige aus drei Einsilbern gebaute tataTAMs zu bilden? Wie klingen sie? Wie sieht es mit denen aus, bei denen ein zweisilbiges Wort mit einem einsilbigen Wort zusammensteht, wie bei denen, die nur aus einem einzigen dreisilbigen Wort bestehen? Wer mag: bitte alles denkbare versuchen! Es wird sich später als nützlich erweisen.

Dabei spricht nichts dagegen, schon kleine Geschichten zu schreiben – „Der Komet: Er erscheint, er zerbricht, er verglüht, er ist fort“. Oder man kann Wörter suchen, die aus zwei tataTAMs zusammengesetzt sind: „Generalintendant“, „Nuklearmedizin“. Oder man achtet bei dem, was man täglich so liest, auf solche doppelten tataTAMs: „Kalifornischer Herbst“ ist ein Gedichttitel von Brecht, der hier schon vorkam …

Wichtig ist eigentlich nur, soviele tataTAMs wie möglich in die Hand zu nehmen und ans Ohr zu halten, sie zu vergleichen und zu bewerten. Und, vielleicht noch zusätzlich: Ein Gespür für unwillkommene Gleichklangwirkungen zu entwicken. Das oben angeführte „er erscheint“ ist ein nicht so tolles tataTAM, weil sich das „er“ verdoppelt; und ganz übel sind doppelte tataTAMs wie das sprichwörtliche „Wie der Herr, so’s Gescherr“ – Reime sind für’s erste verboten! Es geht um die Bewegung, da lenkt der Klang nur ab. „Wie der Herr, so der Hund“ ist besser, aber immer noch gleichklängig durch das doppelte „h“.

So, das soll genügen für diesmal. Viel Vergnügen beim Sammeln!

 

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