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Vom Nichtwählen

Ein Wächter stehst du am Tor des auf sich türmenden Dichtwerks,
Und wägst gewissenhaft ab, und du winkst
Hinein, was brauchbar dir scheint, und andrem hemmst du die Schritte,
Und irrst – lass‘ ein, was auch immer dir naht,

Ein kunterbuntes Gewirr von ganz verschiedenen Dingen,
Das sich um menschliche Regeln nicht schert:
Aus Regeln sprießt dir, Poet! die Ordnung auf in den Versen,
Und wurzelt tief, und du wirst sie nicht los.

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Verstehe

Ein Frosch, der nächtens die Stunden durchquakte,
Verstummte, als sich die Sonne erhob,
Und gab, gefragt nach dem Grunde, zur Antwort:
Wer schläft, wird geweckt.

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Von allen guten

Der wörtergierige Vers schätzt höher nichts als das Beiwort,
Und immer ruft er’s zur Hilfe herbei,
Und immer kommt es und schmückt, vergnügt! was immer es antrifft:
Verlässlich dient’s dem verlassenen Geist.

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Ist ja gut!

Ich rufe Verse ins Sein; den Versen stinkt das gewaltig.
Ganz gleich, ob Gott, ob der Mensch es ersinnt:
Was immer wird, wird geplagt vom Wissen, bald zu vergehen …
Ich rufe Verse; die knurren „Halt’s Maul“.

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Das Triolett vom unerwarteten Beispiel

Wer sich dem Triolett ergibt,
Hat sich verliebt ins Wiederholen,
Ins Wiederholen ist verliebt,
Wer sich dem Triolett ergibt!
Es gleicht der Maus, die mehrmals fiept,
Hat sie den Käse dir gestohlen,
Wer sich dem Triolett ergibt:
Er ist verliebt ins Wiederholen.

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Erzählverse: Der iambische Dreiheber (13)

Georg Joseph Keller war eine Art früher Selbstverleger: Er hat seine Gedichte Mitte des 19. Jahrhunderts auf eigene Kosten veröffentlicht. Auf viel Gegenliebe stieß er damit nicht, wie 1847 eine Besprechung in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ zeigt:

Suchen wir nach einem Grunde, der den Verfasser dieser Gedichtsammlung veranlassen konnte, die Lieder dem Verschlusse seines Pultes zu entziehen und sie auf seine Kosten drucken zu lassen, so unterziehen wir uns einer vergeblichen Mühe: wir finden keinen.

Oha. So schlecht liest sich manches gar nicht:

Amor und Venus

„Ach! Mutter! Liebe Mutter!
Das Täubchen ist entflohen,
Das du am meisten liebtest!“,
Sprach Amor zu Cytheren.
Sanft lächelnd sagte Cypris:
„Mein lieber Sohn! Befürchte
Du nichts; sie kehret wieder,
Die Flüchtige; wer einmal
Getragen meine Fesseln,
Der will nicht mehr die Freiheit,
Wenn man sie ihm auch böte!“

Mittelmäßigkeit ist allerdings kein Maßstab, an dem Dichtung gemessen werden sollte, jedenfalls nicht nach Meinung der genannten Besprechung, die  Keller bescheinigt, er hätte weiser gehandelt, wenn er sich auf die Lust des Schaffens und Bildens seiner Lieder beschränkt und dem Gelüst, sich der Menge zu zeigen, widerstanden hätte; denn sie gehören alle der Mediokrität an, und wird diese im Sprichworte eine aurea genannt, so bezieht sich dies Beiwort doch mehr auf das moralische und konventionelle Leben als auf das poetische Treiben und Bilden.

Noch einmal: Oha!