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Erzählformen: Das Distichon (121)

Selbstbezügliche Sonette oder auch Triolette gibt es in großer Menge; ähnliche Texte zum Distichon sind seltener, erst recht solche, die sich nicht epigrammatisch in einem einzelnen Distichon oder Doppeldistichon verwirklichen. Michael Beer verbindet diesen Selbstbezug aber mit einer netten kleinen Geschichte:

Haltet elegisches Maß, ihr Verslein! Dem lieblichen Takt nach
Eilt ein gefälliger Gott, Wonnen erdenkend, herbei.
Kaum vernimmt der den steigenden Tritt des Hexameters, hört kaum
Rauschend, wie stürzende Flut, schneller Pentameter Fall –
Gleich gedenkt er der römischen Zeit, der römischen Sänger,
Sinnt den beglückenden Lohn gleich der Geschmeichelte aus.
Reicher begabte der Gott nicht Ovidius süße Corinna,
Cynthia nicht des Properz, als er mein Mädchen geschmückt:
Alles ist Adel an ihr, und Füll‘ ist alles und Anmut,
Am vollendeten Werk kenn‘ ich den Meister. – Er ist’s.
Zeus kann Könige formen und Ares Helden, den Sänger
stattet mit strahlender Hand Phöbos, der herrliche, aus.
Pallas, die Wissende, wölbt die Stirn unsterblicher Denker,
Aber ein Mädchen wie dies bildet uns Amor allein.
Lange, wie zögernd der Künstler sich trennt vom lieben Gebilde,
Hat er sie sorgsam gehegt, gleich nicht sie jedem gewährt.
Plötzlich von bebenden Saiten erklingt der befreundete Rhythmus
(Dank dir, elegisches Maß, das mir den Losen getäuscht!)
Und er flattert herbei, er hofft erquickende Opfer,
Bringt zu besel’gendem Lohn schnell die Verborgene mit.
Bist du endlich betrogen, du Allbetrüger, und lockte
Dich ein Barbar, o Schmach, listig ins rhythmische Netz?
Weil du Cynthia gewährt, so hoffst du Properzius? Vergib mir!
Nur mein dürftiges Lied lohnt dir den göttlichen Dienst.

Ob Beers „Lied“ wirklich ein „dürftiges“ ist – wer weiß; eigentlich lesen sich seine Hexa- und Pentameter ganz angenehm.

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Das Triolett vom Musenkuss

Hinter einer Mauer
Saß ein Mann und schrieb
Verse, saß, genauer!
Hinter einer Mauer,
Weil der Ehefrau er
So verborgen blieb:
Hinter einer Mauer
Saß ein Mann und schrieb.

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Schatten-Triolett

Menschen, Menschen! Was ist euer Leben,
Eure Welt, die tränenvolle Welt?
Dieser Schauplatz, kann er Freude geben?
Menschen, Menschen, was ist euer Leben!
O! Die Schatten, welche euch umschweben,
Hölderlins, der sich zu euch gesellt:
Menschen, Menschen, das ist euer Leben,
Eure Welt, die tränenvolle Welt!

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Triolett wider die Mundhygiene

„Nichts zwingt dich, mein Kind,
Dir die Zähne zu putzen“,
Pfeift schmeichelnd der Wind,
„Nichts zwingt dich, mein Kind,
Und die Lücken sind
Beim Pfeifen von Nutzen:
Nichts zwingt dich, mein Kind,
Dir die Zähne zu putzen!“

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Sommernächtliches Triolett

Froschgewaltig lärmt die Nacht,
Grillenmächtig – wer die Ohren
Sich verstopft, wird ausgelacht:
Froschgewaltig lärmt die Nacht!
Klug ist, wer die Nacht durchwacht,
Wer den Schlaf sucht, ist verloren –
Froschgewaltig lärmt die Nacht,
Grillenmächtig, in den Ohren!

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Sein und Tat

◡ — ◡ — ◡ — — ◡
◡ — ◡ — ◡ — — ◡
◡ — — ◡ —

In stetem Gang, dann jäh strauchelnd
Bewegt der Vers sich, tut’s wieder:
Ihm scheint’s richtig so,

Und wer sein Tun genau ansieht,
Kann anders nicht, als „Schön!“ rufen:
Die Tat ehrt das Sein.

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Und darum

Der Silben stetes Wechseln
– Erst kaum, dann stark betont –
Lässt Dichter Verse drechseln,
Darin der Unsinn wohnt.

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Immer

Der Geist zerscherbt Welt und Zeit; klaubt auf alles;
Und neu fügt er’s zusammen.