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Pfadfinder (6)

5 – Götterspeise

Knochenschwund

„Nun, es befindet sich in ihrer Hand;
Sie haben kurz zuvor den toten Frosch
Ergriffen; also muss das Wabbelding
Der Frosch sein – aber was ist ihm geschehen?!“
„Es sieht so aus“, sagt Doktor Sotz und stupst
Den Klumpen an, der wackelt, wundersam,
„Als ob bei unserm … überstürzten Aufbruch
Des Froschs Skelett zurückgeblieben ist;
Und ungestützte Biomasse – wabbelt …“
„Zurückgeblieben? Das Skelett?! Wie soll
Das gehen!“ „Keine Ahnung – lassen Sie uns
Nach Hause gehen und den Fall bedenken.“

7 – Dringlichkeitssitzung

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Mit Versen erzählen!? (4)

Wie verbindet sich nun der Vers mit dem, was in (3) grundsätzliches zum Epos gesagt wurde?! Zum einen über die genannte Grundannahme, den „Rhapsoden“ und seinen mündlichen Vortrag, gerichtet an einen Kreis von Zuhörern. Dazu schrieb Hans Steckner 1927:

„Um echte epische Form zu begreifen, müssen wir uns den rhapsodischen Vortrag anschaulich vorstellen: stilisierten, musikalisch-rhythmischen, mehr oder weniger feierlichen Vortrag als eine öffentliche Angelegenheit.“

Und:

„Das strenge künstlerische Symbol dafür ist der Vers, die rhythmische Gebundenheit.“

Damit sind Vers und Epos verknüpft. Aus dieser Verbindung ergibt sich dann eine Wirkung, die sich mit dem deckt, was in (3) Schlegel über das Wesen des Epos angemerkt hat. Steckner:

„Der strengen rhythmischen – stichischen oder strophischen – Gebundenheit des Epos entspricht eine mehr oder minder förmliche Schwere, ja Schwerfälligkeit des sprachlichen Gefüges, eine mehr oder minder zeremonielle Zucht des Ausdrucks, ein klingendes festliches Pathos der Stimme, ein verhältnismäßig ausgeglichenes Tempo, eine ruhigere, harmonischere, sozusagen umständlichere Führung der inneren Linien. Das ungeheure Gleichmaß des Verses, sei es der kraftvolle Bogenschwung unzähliger Strophen, seien es die unzertrennbaren Kettenglieder der Terzine oder der ruhig rollende Wellenschlag des Hexameters, diese großartig feierliche Einförmigkeit wirkt auf den gesamten Stil und breitet sich kühlend, klärend, distanzierend, als ein ornamentaler Zwang über die Welt der epischen Stoffe.“

Kühlend, klärend, distanzierend – das scheint mir entscheidende  Wirkung des Verses in Bezug auf das Epos?! Man erinnere sich: „Das Epos ist die Darstellung des rein Objektiven“, sagte Schlegel.

Während Steckner hier einige Möglichkeiten der Versgestaltung anführt, sind die Dinge für Schlegel diesbezüglich eindeutiger. Er schreibt in „Vom Epos“:

„Das epische Silbenmaß ist der Hexameter, der durch seine gleiche Taktart der Ruhe, durch seinen zwischen Fall und Schwung gleich gemessenen Rhythmus der unbestimmten Richtung,  durch seinen unerschöpflichen Wechsel dem Umfange, und durch seine leichten und immer wieder verschiedenen Übergänge aus einem Verse in den anderen der Grenzenlosigkeit des Epos entspricht. Er ist schwebend, stetig, zwischen Verweilen und Fortschreiten gleich gewogen, und kann deswegen, ohne zu ermüden, den Hörer auf einer mittleren Höhe in ungemessene Weiten forttragen.“

Und damit sind Epos und Hexameter verknüpft …

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Pfadfinder (5)

4 – Verschwinden

Götterspeise

Und zieht vorüber. Heinrich, Dr. Sotz,
Der Frosch – der Frosch als letzter in der Kette
Gerät noch in die Bahn, wird noch gestreift,
Doch in die Büsche, von der Lichtung fort,
In Zweige ohne Zahl und Nebelreste
Werfen die Drei sich, fort, nur fort, und kommen
Zur Parkbank, wo die Welt ist, wie sie ist …
Die Hände auf den Knien, außer Atem
Fragt Heinrich: „Was zum Teufel war das, Doktor?!“
Doch Sotz hält ihm die Hand hin, darauf wabbelt
Grün-Braun ein Klumpen ohne Halt und Form:
„Ja, was? Und was zum Teufel, Heinrich, ist das?!“

6 – Knochenschwund

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Mit Versen erzählen!? (3)

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was ein (Vers-)Epos ausmacht, lohnt ein Blick auf August Wilhelm Schlegels klassischen Text „Vom Epos“, entstanden 1801/02.  Vor dem Blick auf einzelne Abschnitte dieses Textes ist es aber sinnvoll, kurz die Grundannahme allen epischen Erzählens zu erwähnen:

So wie ein Lesedrama, auch wenn es nicht für die Aufführung auf einer Bühne vorgesehen ist, in seinem Aufbau trotzdem von den Forderungen geprägt ist, die an ein Bühnenstück gestellt werden; so ist auch ein in schriftlicher Form vorliegendes Epos immer der Annahme eines „Rhapsoden“, eines Erzählers verpflichtet, der den Inhalt des Epos einem Zuhörerkreis in mündlichem Vortrag nahebringt! Und auch hier formt sich der schriftliche Text nach den Erfordernissen, die dieser (angenommene) Vortrag mit sich bringt.

Nun aber zu „Vom Epos“. Schlegel beginnt mit einer sehr knappen Bestimmung des Begriffs Epos: es sei „eine ruhige Darstellung des Fortschreitenden“. Die beiden Bestandteile dieser Bestimmung erläutert er näher:

– „Die epische Ruhe ist eben die Absonderung des rein Objektiven, wodurch sich diese Gattung über die gewöhnliche Wirklichkeit zum Idealischen erhebt. Denn die Wahrnehmung der Außenwelt ist immer mit Beziehungen auf unseren Zustand, folglich mit Gemütsbewegungen verknüpft, und deswegen kann sie nicht die höchste Klarheit und Vollkommenheit erreichen. Der epische Dichter aber gibt uns eine Darstellung der Außenwelt, wie sie aus einem bloß anschauenden, durch keine teilnehmende Regung gestörten Geiste hervorgehen würde, und erhebt uns zur gleichen Besonnenheit der Betrachtung.“

Unbewegliches darzustellen erfordert Beschreibung, aber: „Bei allem Beschreiben ist die Arbeit für den, welcher redet, gering, für den Zuhörer aber sehr groß.“

Was schon an sich ein bemerkenswerter Satz ist … Doch es geht Schlegel eigentlich um die Wirkung des Gegensatzes, also der Bewegung :

– „Wird hingegen etwas in seiner Fortschreitung aufgefasst, so hebt und trägt die dem Gegenstande entsprechende Bewegung der Worte den empfangenden Geist, und an dieser, als der Grundlage der gesamten Darstellung, entwickelt sich vom Simultanen so viel, als nötig ist, mit Leichtigkeit zu anschaulichen Bildern.“

Also: Bewegung, Geschehen erzeugt Anschaulichkeit.

Dieses Geschehen wird im Epos aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet. Schlegel:

– „Das Epos ist die Darstellung des rein Objektiven; es wird also auch das Geschehene nur als zufällig erscheinen lassen; denn die Anerkennung der Notwendigkeit desselben ist Konstruktion aus Gesetzen unseres Geistes, folglich aus etwas Subjektivem.“

Und:

– „Das Geschehene wird weit weniger nach seiner Verknüpfung betrachtet als wie eine bloße Folge von Veränderungen, bei welcher also Raum und Zeit den ersten auf der Oberfläche liegenden Zusammenhang geben. Scheinbare Stetigkeit ist folglich das Gesetz der epischen Komposition, sowie scheinbare Notwendigkeit der tragischen Verknüpfung. Die menschlichen Handlungen treten in jener nicht als solche, das heißt durch Freiheit bewirkt, sondern gerade wie andere Naturerfolge in die Reihe mit ein.“

Das sind schon einige sehr tragfähige Grundaussagen … Das meiste von dem, was im weiteren vom Versepos zu sagen sein wird, lässt sich aus ihnen entwickeln!

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Mit Versen erzählen!? (2)

In welchem Ausmaß genau ist die Gattung Versepos vergessen?! – Vollständig, ganz und gar, ohne Rest und Überbleibsel!

Schon um 1800 hatten es die Epiker nicht leicht; das Epos galt als hervorragende Gattung, doch wie es zeitgerecht verwirklicht werden konnte, das war nicht so einfach zu sagen. Aber immerhin: Nach vielem Hin und Her und langem Nachdenken schrieb Goethe 1797 „Hermann und Dorothea“, und ließ sich dieses Werk von seinem Verleger sehr gut bezahlen; und nicht ohne Grund, das epische Hexameter-Gedicht wurde ein großer Erfolg.

Hundert Jahre später, um 1900, schrieb Carl Spitteler seinen „Olympischen Frühling“, und auch dieses Versepos war ein gewisser Erfolg (und einer der Gründe für Spittelers Literatur-Nobelpreis 1919); aber kurz zuvor, 1898, hatte er in einem Essay beschrieben, was geschähe, gäbe jemand ein Epos zwecks Veröffentlichung an einen Verlag:

Zunächst würde man sich unter der Hand in schonender Weise nach den Gesundheitsverhältnissen des Verfassers erkundigen. Ob ihn die Heimatbehörde frei herumlaufen lasse, ob er etwa erblich belastet wäre und dergleichen. Lauten wider Erwarten die ärztlichen Zeugnisse günstig, so heißt es: „Gottlob, es ist nur ein vorübergehender Anfall. Demnach können wir immer noch hoffen, dass er uns das nächste Mal wieder etwas Vernünftiges, Menschenmögliches schreibe.“ Und damit wandert das Werk in den Papierkorb, ungelesen und ungeprüft.

Das klingt schon nicht mehr so berauschend … Und wieder 100 Jahre später, also heute, hat sich bestenfalls am Grad der Ablehnung etwas geändert: sie ist noch größer geworden. Wer also heute ein Versepos wagt, sollte eine wirklich gute Geschichte zu erzählen haben; mit Widerständen ist zu rechnen!

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Pfadfinder (4)

3 – Still!

Verschwinden

Und beide lauschen. Schon nach kurzer Zeit
Gibt Sotz es auf: „Sie haben sich getäuscht,
Da ist nichts, Heinrich.“ Heinrich gibt nicht nach:
„Da ist etwas, und es kommt zügig näher,
Und macht mir Angst – mir sträuben sich die Haare …
Wir sollten schnell von hier verschwinden, Sotz!“
„Verschwinden? Und der tote Frosch?! Ich muss
Den Grund erfahren, wissen Sie, was Liese …“
„Scheiß drauf!“, schreit Heinrich, und er packt den Doktor
Und reißt ihn buschwärts, und es packt sich Sotz
Den Frosch und reißt ihn mit, und hört nun auch
Und fürchtet, was da kommt, und jetzt ist’s da!

5 – Götterspeise

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Mit Versen erzählen!? (1)

„In der Geschichte der Gattungen zeigt sich immer wieder dieser typische Verlauf: die zuweilen uralte oder aus dunklem Abseits herkommende Form wird ergriffen, zur Blüte gebracht, dann lange gepflegt, ohne eine andere Veränderung als die des Alterns durchzumachen, vergessen, um endlich wieder von einer anderen Epoche im Urgrund ihres Wesens begriffen und zu neuer Blüte entwickelt zu werden.“

Das schrieb Karl Vietor auf  Seite 3 seiner „Geschichte der deutschen Ode“ (2. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1961). Zu den jetzt gerade vergessenen und auf das Begreifen wartenden Gattungen zählt: das Versepos, und mir scheint, die Zeiten sind nicht ungünstig für seine neue Blüte.

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Pfadfinder (3)

2 – Unter Büschen

Still!

„Ein toter Frosch“, sagt Sotz, „und ein besond’rer:
Der hier gehörte Liese. Gestern Nacht
Erschien sie in der Werkstatt mit dem Tier
Und wies mich an, es in den Park zu bringen …“
„Sie wies Sie an? Wie das? Die junge Dame
Ist Ihre Nichte!“ „Nun, da war ein Nachdruck
Ganz eig’ner Art in ihrer Stimme, welchem
Zu folgen ratsam schien; ich nahm das Glas
Samt Frosch und kam hierher, der Frosch
Entsprang, ich folgte ihm zu dieser Lichtung
– Und fand ihn tot; und kehrte um, auf Ihre Ankunft
Zu warten …“ „Still!“ „Warum?“ „Ich höre etwas.“

4 – Verschwinden