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Erzählverse: Der trochäische Fünfheber (6)

„Ludwig Strauss: Dichtungen und Schriften“ ist 1963 bei Kösel erschienen. Auf Seite 134 findet sich dort „Gelbe Rose“, ein Text in trochäischen Fünfhebern, dessen erster Abschitt so lautet:

 

Als die schmale Flamme ihrer Knospe
Sich geöffnet, lohten hierhin, dorthin
Blätter aus der Blüte, weit und weiter,
Bis das violette Herz entblößt lag,
Bis sie überm dringenden Sichöffnen
Aufrecht in der eignen Form zu stehen,
Selig Sinkende, vergaß.

 

Na gut, nicht wirklich „Erzählverse“; aber ein Beispiel mehr dafür, was dieser Vers leisten kann?! Auch der kürzere und männlich endende Vers, der den Abschnitt schließt, ist ein genaueres Hinhören wert; seine Wirkung ist beachtlich!

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Das Königreich von Sede (70)

Frösche im raschen Sprung,
Vorne, wer klein und jung,
Hinten, wer alt und schwer:
Kommen vom Graben her,
Schemel zu grüßen;
Dann, ihm zu Füßen,
Hocken sich alle hin,
Liedervergnügt ihr Sinn:
Schemel erhört sie,
Singt und betört sie,
Dass sie des Hungers vergessen.

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Erzählverse: Der Hexameter (102)

Nie haben Schiller oder Goethe in dieser Zeit eine Zeile in einer meiner Arbeiten selbst gestrichen, sie aber ebensowenig als fertig gesehen, so weit ich sie ihnen mitteilte. Zwei Gesänge der „Schwestern von Lesbos“ waren eben in dieser Weise vollendet, als Goethe, von meiner neuen Arbeit unterrichtet, sie zu hören begehrte. Ich las sie, auf sein Verlangen, ihm vor und erzählte ihm den Plan des Ganzen.

Als Goethe so gütig war, mir einige Bemerkungen wegen des Hexameters zu machen, entdeckte er, nicht ohne spaßhafte Verwunderung, dass ich noch gar nicht wisse, was ein Hexameter sei. Er sagte mir: „Ich verstehe, das Kind hat die Hexameter gemacht, wie der Rosenstock die Rosen trägt.“

Goethe selbst setzte sich hin, mir das Schema für diese Versform aufzuschreiben, die ich freilich von da an sehr ernstlich studierte, besonders an „Luise“ von Voss, die Goethe mir angeraten.

– So Amalie von Imhoff in ihren Erinnerungen – eine nette Geschichte! An ihren „Schwestern von Lesbos“, einem Epos in sechs Gesängen, hat Goethe auch nach der Fertigstellung regen Anteil genommen und viele Verbesserungsvorschläge gemacht. Als das Epos dann erschien, war es durchaus erfolgreich!

Wie aber liest sich Imhoffs Hexameter?! Einige Verse aus dem ersten Gesang, die Beschreibung eines „schönen Ortes“ mit allem, was dazu gehört:

 

Also im Wechselgespräch hinwandelnd, hatten die Schwestern
Nun den Brunnen erreicht, den oftbesuchten, wo grünend
Rings ein Rasen sich zog, von Wegen durchschnitten und ostwärts
Lieblich vom Hügel begränzt, der sanft und beschattet empor stieg.
Zwischen Zypressen schwankte die schlank-aufstrebende Pinie,
Dort, aus dunklerem Grün, erhob sie heiter die Krone;
Und so schmückte der Hain die Höhe mit wechselndem Kranze,
Senkte sich leichter hinab, im Kreise die Wiesen umfassend.
Hier entschäumte dem Felsen, den rings mit üppigen Ranken
Dunkler Efeu umschlang, die klare, reichliche Quelle,
Füllte mit leisem Geräusch das Marmorbecken und eilte,
Rieselnd des blühenden Tals zartduftende Blumen zu tränken,
Die in lieblicher Füll’, es lockte der wärmenden Sonne
Freundlicher Strahl sie hervor und der milde Odem des Lenzes,
Hier am Fuß entsprossten der hohen Zypressen; in Büschen,
Welche den Fels umwoben, ertönte der munteren Vögel
Fröhlich wechselnder Chor, leissummend schwärmten die Biene
Rings umher, in die Kelche der Hyazinthen sich senkend.

 

So etwas ist immer ein Heimspiel für den Hexameter, und auch hier liest es sich angenehm! Alles, was den Hexameter zu der Zeit auszeichnet (auch und gerade in der „Luise“), ist da: geschleifte Spondeen („Tals zartduftende“), schmückende Beiwörter („oftbesuchten“), grammatikalische Lockerungen wie abgetrennte Genitive („am Fuß entsprossten der hohen Zypressen“) oder „aus dem Nichts“ kommende Einschübe („es lockte …“) – fein!

Wie aber sieht es aus, wenn die Anforderungen größer werden? Immer noch der erste Gesang – „jedes“ und „es“: gemeint ist „Mädchen“ (in einer Gruppe junger Frauen ging ein Scherzwort zu weit):

 

Eh‘ mutwillig der Scherz den lächelnden Lippen entgleitet,
Sehe jedes doch zu, auf wen es richte die Pfeile.
Immerhin necke getrost der muntre Spötter den Gleichen,
Welcher die beißenden Worte gewandt und schnell ihm zurückgibt;
Aber kränkender ist und schmerzlich jenem des Witzes
Leichtverwundender Scherz, der unerfahren und schüchtern
Nicht den fröhlichen Spott beherzt zu erwidern geübt ist.

 

– Keine Beschreibung mehr, sondern Erklärung. Die Vers müssen auf Sinnlichkeit verzichten, was den Hexameter immer beeinträchtigt in seiner Wirkung. Aber auch hier bewegt sich der Vers gut, ein wenig gezwungen vielleicht, aber nicht viel?! Insgesamt ein nicht schlecht gemachtes, feines, kleines Epos!

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Geschichten

Geschichten gibt es auch: vom Regelbruch.
Nun gibt es Regeln, wirklich! zur Genüge,
Da macht es nichts, komm ich daher und füge
Der unermesslich großen Zahl noch, huch!

– Da war der Vers zuend‘, der Regelbruch
Schon fast vollbracht, und eine ernste Rüge
Hätt‘ ich mir eingehandelt, ja ich lüge,
O glaubt mir, nicht: ich stünde im Geruch

Des Sonettisten, der den Reim verschludert,
Hätt‘ ich das Unglück nicht noch kommen sehen!
Nun gut, zurück zu der besagten Regel:

… Oh weh, mein Hirn, der schreckhaft-dumme Flegel,
Vergaß sie. Nun: auf See, wenn Stürme wehen
Und Donner kracht, da heißt’s: Zurückgerudert!

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Erzählverse: Der trochäische Vierheber (44)

Ignaz Franz Castelli war kein sehr origineller Dichter; er hat, auch handwerklich mäßig geschickt, gestaltet, was andere schon vor ihm gestaltet hatten. Gerade darum aber ist er geeignet, den auch 1844 (da erschienen seine gesammelten Werke) schon etliche Jahrhunderte lang benutzten Vorrat an Wendungen zur Beschreibung der weiblichen Schönheit so, wie er ist, vor den Leser hinzustellen! Er tut das am Anfang von „Liebesfeuer“:

 

Donna Stella war die schönste
Von den Frauen in Sevilla;
Trug sie ihren Schleier offen,
Mussten ihn die andren senken.

Ihre Augen waren Sonnen,
Und das Feuer dieser Sonnen
Zog aus Männeraugen Wasser,
Die doch sonst nicht gerne weinen.

Ihre Haare waren Netze,
Von den Grazien selbst geringelt,
Dass die Locken mussten locken
Jeden, der sie sah, und fangen.

Ihre Lippen waren rote,
Zum Genuss geschwellte Beeren,
Die da winkten, dass sich jeder
Lüstern mühte, sie zu pflücken.

Ihre Zähne waren Perlen,
Die nicht schliefen in den Tiefen,
Sondern in dem mildsten Glanze
Jedem Auge offen lagen.

Ihre Haut war Alabaster,
Drin sich blaue Adern schlängeln,
Und der Aeolsharfe Tönen
Glichen ihrer Stimme Klänge.

Also war der Frauen schönste
Donna Stella in Sevilla,
Und kein Männerauge pflegte
Unbedarft ihr zu begegnen.

 

Vierhebige reimlose Trochäen, in Strophen geordnet; was freilich durch das aufzählende Wesen des Gedichts nicht weiter auffällt.

Wie ernst dieser Text gemeint ist, ist schwer zu sagen … Spätestens nach den „lockenden Locken“ der dritten Strophe möchte man an eine Parodie oder einen sonstwie humoristischen Text glauben; aber ich fürchte, das ist er einfach nicht?!

Immerhin bietet er in übersichtlicher Form eine Übersicht über die altbewährten Versatzstücke, die weibliche Schönheit zu beschreiben; wer das heute wagen will, tunlichst in unernster Absicht! kann sich hier bedienen.

Die vorgestern unter (43) vorgestellten Verse Adolf Peters‘ waren sicher keine Meisterwerke, aber verglichen mit denen Castellis doch eine andere Liga – eben weil Peters dem Vorgefundenen eine eigene Wendung gegeben hat. Keine aufsehenerregende; aber immerhin!

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Erzählverse: Der trochäische Vierheber (43)

Adolf Peters 1840 erschienene „Gesänge der Liebe“ sind ein Buch, das heute niemand mehr zu kennen braucht – zu unbedeutend sind die darin versammelten Liebesgedichtlein. Ein, zwei Stücke sind aber doch ganz anziehend, zum Beispiel „Der Besiegte“:

 

Heldin, Heldin, nicht so grausam!
Weit zerstreut sind meine Streiter,
Meine Schlacht ist längst verloren,
Und ich blute, schwer verwundet,
Auf dem Felde deines Ruhmes,
Deiner Locken goldne Fahne
Flog, ein Adler, vor den Siegen,
Deiner Stimme Zauberschwert schlug
Mir die Sinne, die Gedanken;
Plötzlich die Gefahr erleuchtend,
Streckte jähling mich darnieder
Deiner Blicke Speergefunkel,
Und mein Herz, der junge Feldherr,
Ging verrät’risch zu dir über.
Heldin, Heldin, nicht so grausam!
Neig dich über mich, zu träufeln
In die schmerzensheiße Wunde
Die drei Tröpfchen himmlisch mildes
Lebensöl: „Ich liebe dich!“
Und die Binde deiner Arme
Leg um den zerriss’nen Busen.

 

Eine Tonlage, die man nicht in der Mitte des 19. Jahrhunderts erwarten würde, sondern eher hundert Jahre früher?! Aber die Verknüpfung von „Schlacht“ und „Liebe“ / „Äußeres“ ist nett gemacht, die Sprache bewegt sich frei und ansprechend im Raum der trochäischen Vierheber; und so lässt man sich’s gefallen, auch noch am Anfang des 21. Jahrhunderts …

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Bücher zum Vers (73)

J.R.R. Tolkien: König Arthurs Untergang. Herausgegeben von Christopher Tolkien

Gerade eben ist die deutsche Ausgabe von The Fall of Arthur  erschienen, bei der Hobbit Presse / Klett-Cotta. Ein „Buch zum Vers“ ist sie, weil das unvollendet gebliebene Gedicht in Stabreimversen geschrieben ist; und jeder Stabreimvers-Text einen genauen Blick wert ist angesichts der wenigen, die heutzutage geschrieben werden!

Den größten Teil des Buches nehmen die sehr spannend zu lesenden Erklärungen und Erläuterungen Christopher Tolkiens ein; das eigentliche Gedicht umfasst selbst in der Gegenüberstellung des englischen Textes mit der deutschen Übersetzung nur knapp achtzig Seiten.

Dabei ist diese zweisprachige Anordnung sicher sinnvoll. Hans-Ulrich Möhring hat beim Übersetzen die alte Frage zu entscheiden gehabt, ob er dem Inhalt möglichst treu bleibt und die Form vernachlässigt oder umgekehrt, und sich zugunsten der Form entschieden; da ist dann der Blick auf die gegenüberliegende Seite, hin zum englischen Text, immer eine angenehme Versicherung.

 

In the South from sleep ⋅ to swift fury
a storm was stirred, ⋅ striding northward
over legues of water ⋅ loud with thunder
and roaring rain ⋅ it rushed onward.
Their hoary heads ⋅ hills and mountains
tossed in tumult ⋅ on the towering seas.

Aus Schlummer schlug um ⋅ zu schleunigem Toben
ein Wetter und wallte ⋅ weit übers Meer,
es sauste von Süden ⋅ wie besessen nach Norden
mit brüllendem Donner ⋅ und brausendem Regen.
Wutentbrannt warfen ⋅ ihre weißen Kämme
gewaltige Wellen ⋅ in die wühlende See.

 

– So beginnt auf Seite 52 (Englisch) beziehungsweise Seite 53 (Deutsch) der dritte Gesang; ich denke, da kann man sich schon ein Bild machen bezüglich der Art der Übersetzung?! Und auch der Art der Verse, selbstredend …

Aus den vielen Seiten Erläuterungen führe ich nur ein kurzes Wort von Tolkien selbst an, der im „Anhang A“ zu Wort kommt in Form eines Vortrags zur altenglischen Dichtung. Da steht also auf Seite 279:

Unsere Sprache ist mittlerweile leichtbeweglich geworden (in den Silben) und kann sehr flink und flexibel sein, aber lautlich ist sie recht dünn und in ihrer Bedeutung oft diffus und verschwommen. Die Sprache unserer Vorfahren, besonders die dichterische, war langsam, nicht sehr beweglich, aber sehr volltönend und ungemein dicht und konzentriert, jedenfalls die eines guten Dichters.

Da geht es nicht um Deutsch, klar; aber eine nachdenkenswerte Feststellung allemal!

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Spätes Sonett

Ich müder Mensch bin noch nicht eingeschlafen.
Warum? Es ist noch kein Sonett geworden …
So werde eins! Ich schlag als Inhalt Horden
Von Breitmaulfröschen vor. Die Frösche trafen,

Wie es der Zufall will, in einem kleinen Hafen
Zwölf Störche an, die aus dem fernen Norden
Just angekommen waren. Und ein Morden
Schien unvermeidlich, doch gelangs den Schafen,

Das meint in diesem Fall: den Wollpiraten,
Die saßen auf der Reling ihres Schiffes,
Durch das Erzählen lustiger Geschichten

Von ihren Fahrten und verwegnen Taten,
Zum Beispiel der Geburt des Nudel-Riffes,
Die Streiterei von Frosch und Storch zu schlichten.