Erzählverse: Der iambische Vierheber (13)

Nikolaus Götz führt in „Süßigkeit der Liebe“ wieder einmal eine kleine Nichtigkeit vor:

 

Die Götter taten, uns zu necken,
Schmerz, Sorgen, Krankheit, Mangel, Schwermut
Und alle Gattungen von Übel
Vorzeiten in Pandorens Büchse;
Allein Cythere, unsre Freundin,
Tat ihren Sohn dazu: derselbe
Versüßt uns nun die Übel alle.

 

In der Form immerhin beachtenswert durch die weiblich, also unbetont schließenden iambischen Vierheber! Und den zweiten Vers selbstredend, der das Lastende „aller Gattungen von Übel“ sinnlich erfahrbar werden lässt.

Erzählformen: Die alkäische Strophe (26)

Mit den Zäsuren ist es in der deutschen alkäischen Strophe so eine Geschichte … Die ersten beiden Verse haben zwar eine Zäsur, die wird aber fast genauso oft miss- wie beachtet; und der dritte und vierte Vers haben überhaupt keinen festen Einschnitt. Trotzdem gliedern sie sich in den meisten Fällen, und dazu merken die Metriken dann an, dass im dritten Vers ein Einschnitt nach der vierten oder der sechsten Silbe eine schöne Wirkung zeigt, im vierten Vers aber ein Einschnitt nach der vierten oder siebten. Die zweite Strophe aus Wilhelm Waiblingers „Der Monte Pincio“:

 

Wär‘ ich geboren, wär‘ ich erzogen auch
An deinem Lichtquell, könnt‘ ich die Reinheit doch,
Könnt‘ ich die Milde nicht, die Wärme
Dieser Natur in mein Lied einhauchen.

 

Da sind in den ersten beiden Versen die geforderten Einschnitte nach der fünften Silbe da, im dritten Vers nach der sechsten Silbe; und der vierte Vers gliedert sich durch zwei Wortfußgrenzen nach der vierten und siebten Silbe:

Dieser Natur | in mein Lied | einhauchen.
— ◡ ◡ — | ◡ ◡ — | ◡ — ◡

Das ist in der Tat eine abwechslungsreiche und darum wirksame Versgliederung; und wenn sie auch nicht häufig vorkommt, so findet sie sich vereinzelt doch bei so gut wie allen Verfassern alkäischer Strophen.

Dieses Gedicht ist wirklich an einem der schönen italischen Frühlingsmorgen, die der Dichter mit dem Dante oder seinen eigenen Phantasien unter den Akazien und Platanen der Villa Medizis zubrachte, in einer Art der Verzweiflung über das Gefühl der Unmöglichkeit entstanden, die Fülle der unermesslichen Schönheit um ihn herum mit Worten erfassen zu können.

Sagt Waiblinger zum Gedicht insgesamt; auch das ist einen Blick wert …

Nach einem Gemälde

… hat Friedrich Schiller sein einziges „antikes“ Gedicht geschrieben, was meint: unter Verwendung einer ungereimten, vierzeiligen Odenstrophe. Die sieht so aus:

— ◡ — ◡ ◡ — | ◡ — ◡ — ◡
— ◡ — ◡ ◡ — | ◡ — ◡ — ◡
— ◡ — ◡ ◡ — ◡
— ◡ ◡ — ◡ ◡ —

Wenn man die antiken Bezeichnungen bemüht: Zwei phaläkische Verse, ein Pherekrateus, ein kleiner archilochischer Vers. Wobei die Strophe an sich aber gar nicht antik ist, sondern von Klopstock ersonnen wurde?! Wie auch immer – was Schiller damit angestellt hat, ist das:

 

Senke, strahlender Gott – die Fluren dürsten
Nach erquickendem Tau, der Mensch verschmachtet,
Matter ziehen die Rosse –
Senke den Wagen hinab!

Siehe, wer aus des Meers kristallner Woge
Lieblich lächelnd dir winkt! Erkennt dein Herz sie?
Rascher fliegen die Rosse,
Tethys, die göttliche, winkt.

Schnell vom Wagen herab in ihre Arme
Springt der Führer, den Zaum ergreift Cupido,
Stille halten die Rosse,
Trinken die kühlende Flut.

An den Himmel herauf mit leisen Schritten
Kommt die duftende Nacht; ihr folgt die süße
Liebe. Ruhet und liebet!
Phöbus, der Liebende, ruht.

 

Was sich mythologisch-fremd, aber angenehm liest – und auch schon anderen gefallen hat; sonst wäre das Gedicht ja nicht gleich mehrfach vertont worden, zum Beispiel von Johannes Brahms und Richard Strauss … Und die verwendete Strophe ist einen eigenen Versuch wert. Allemal!

Priamel (3)

Deine Kinder, denen kalt ist,
Deine Katze, die schon alt ist,
Deine Nase, die gereizt ist
Freuen sich, dass bald geheizt ist.

Erzählformen: Das Sonett (21)

Georg Heym hat eine Reihe von Sonetten über „Marathon“ geschrieben, also die antike Schlacht zwischen Griechen und Persern. Das dritte dieser Sonette gewährt einen Blick ins persische Heer:

 

Langbärt’ge Perser ziehn in Heeres Mitten
Mit kurzen Schwertern und mit großen Bogen,
Die durch Ägyptens Wüstenein gezogen,
Die gegen Krösus einst am Halys stritten.

Die hagren Libyer mit den Eisensehnen
Auf Eilkamelen Afrikas beritten.
Die Skythen, die sich kurze Pfeile schnitten,
Ihr Haar in Zöpfen, wie der Pferde Mähnen.

Des Sudans Neger, fettig und beleibt,
Die Luft durchschreiend, brüllend wie ein Stier.
Das Volk von Babylon, das Henna reibt

Und sich die Stirn bemalt mit Weiberzier.
Der Vögte Geißel, die die Menge treibt
Und sausend niederfährt auf Mensch und Tier.

 

Ein Sonett, das sich so gar nicht kümmert um die „innere Form“, um These, Antithese, Synthese und was da noch alles in einem Sonett zu finden ist, oft, und von einem Sonett erwartet wird, oft; und das stattdessen einfach aufzählt, zeigt, vor den Leser hinstellt. In überzeugender Manier!

Ungereimtes

Der im letzten Beitrag vorgestellte (und dort wunderlicherweise gereimt anzutreffende) „große Asklepiadeus“ ist, will man ihn schreiben, eine ziemliche Vers-Herausforderung. Aussehen tut er so:

— ◡ / — ◡ ◡ — / — ◡ ◡ — / — ◡ ◡ — / ◡ —

Ein altes und wie üblich ungereimtes Beispiel ist Johann Heinrich Voß‘ „Tobacksode“, deren erste vier Verse so lauten:

 

Rolf, beim schäumenden Kelch, oder beim Trank, den die Levante bräunt,
Lass von Knastergewölk unsere Stirn bläulich umwirbelt sein!
Zeus, im Opfergeduft, lächelte nie froher, als wir, umdampft
Von Virginischem Kraut, welches dein Wink, holder Tobackus, schuf!

 

Unzweifelhaft derselbe Vers, doch ganz anderen Klangs – einige Verse aus Josef Weinhebers „Vom Adel des Körpers“:

 

Mit dem Mut, der es wagt, Blume zu sein, lebt da die Jungfrau ihr
ungenütztes Gechlecht, lebt, der es weiß, seinen gewagten Tod
jener Jüngling; es denkt Welten der Mann. Aber es haben den
höchsten Rang, der nicht welkt: Mütter. Gefasst tragen, erhalten sie
was sich formt, durch die Zeit: Ahnengewiss, leibhaft, gegliedert, stet.

 

Gut, da liegen bald 200 Jahre dazwischen. Aber auch hier: spannend zu hören, welche Möglichkeiten dieser Vers bietet.