Erzählverse: Der Hexameter (182)

Karl Ludwig von Knebels „Philomela in Tiefurt“ ist ein kurzer Text von nur 50 Hexametern, allerdings eigenen Inhalts. Das Ende:

Also sang vom schwankenden Ast weissagend der Vogel,
Und der Nordwind verstummte; es nahten sich lindernde Weste.
Aber es schwebt‘ in der Höh‘ mit ausgespreiteten Rudern,
Und mit gierigem Aug‘ ein Geier, dürstend nach Blute.
Dieser ersah den lieblichen Sänger, und stürzt von der Höhe,
Fasst und drückt ihn gewaltig mit krummgespitzeter Klaue,
Reißt ihm die blutende Brust auf, und hackte begierig sein Leben.
Nicht ein leiser wimmernder Laut ward weiter gehöret;
Es entfloh die Seele mit stiller Wehmut von dannen.

Das „Ende vom Ende“, der letzte Vers, ist bemerkenswert – seines Anfangs wegen; denn viele deutsche Hexametristen haben ja der Versuchung nachgegeben, die erste Hebung mit einer zwar betonungsfähigen, ansonsten aber sehr leichten Silbe zu besetzen, was vor allem im zweisilbigen Fuß nicht so recht befriedigt. Knebels erster Fuß ist zweisilbig, und das „es“ auf der Hebung könnte ein Kandidat für die leichteste jemals dort gefundene Silbe sein – hebungsfähig aber ist sie, da ihr eine Vorsilbe folgt („ent-„), der gegenüber sich das „es“ behaupten kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert