Coleridge und Klopstock
Im Herbst 1798 besuchten die englischen Dichter Samuel Taylor Colerdidge und William Wordsworth während ihrer Deutschlandreise auch Friedrich Gottlieb Klopstock. Die beiden Engländer, Mitte und Ende Zwanzig, und der bald 75-Jährige Klopstock unterhielten sich auf Französisch und ein wenig Englisch natürlich über die Dichter und das Dichten, über das Übersetzen, über Hexameter …
Coleridge schreibt dazu:
Klopstock dwelt much on the superior power which the German language possessed of concentrating meaning. He said, he had often translated parts of Homer and Virgil, line by line, and a German line proved always sufficient for a Greek or Latin one. In English you cannot do this. I answered, that in English we could commonly render one Greek heroic line in a line and a half of our common heroic metre, an I conjectured that this line and a half would be found to contain no more syllables than one German or Greek hexameter. He did not understand me: and I who wished to hear his opinions, not to correct them, was glad that he did not.
Hübscher Schluss-Satz. Davor stehen auch bedenkenswerte Dinge, aber man kann das auch einfach stehenlassen als ein Beispiel der Gespräche der drei. Jedenfalls hat Coleridge noch eine Fußnote dazu geschrieben:
I have translated some German hexameters into English hexameter, and find, that on the average three lines English will express four lines German. The reason is evident: our language abounds in monosyllables and dissyllables.
Auch diese Fußnote, die noch länger ist, enthält lesenswertes; aber noch spannender ist doch die Frage, was das für Texte sind, die Coleridge da übersetzt hat? Ein Distichon von Friedrich Schiller etwa!
Der epische Hexameter
Schwindelnd trägt er dich fort auf rastlos strömenden Wogen,
Hinter dir siehst du, du siehst vor dir nur Himmel und Meer.
Bei Coleridge liest sich das dann so:
The homeric hexameter
Strongly he bears us along in swelling and limitless billows,
Nothing before and nothing behind but the sky and the ocean.
Angesichts von Coleridges Ausführungen scheint bemerkenswert, dass die beiden englischen Verse je 16 Silben haben, die beiden deutschen aber nur je 14?!
Eigentlich müsste man sich mal mit einem englischen Muttersprachler zusammensetzen und solche Verse dann immer wieder einander vorsprechen. Und vergleichen. Aber auch so fällt auf, das Coleridge kein „richtiges Distichon“ als Wiedergabe gewählt hat! Schillers zweiter Vers ist, wie es sich im Distichon gehört, ein Pentameter:
Hinter dir / siehst du, du / siehst || vor dir nur / Himmel und / Meer.
Coleridges zweiter Vers ist dagegen ein Hexameter:
Nothing be- / fore and / nothing be- / hind || but the / sky and the / ocean.
Jedenfalls scheint es mir so. Vielleicht „finde“ ich den Pentameter aufgrund mangelnder Englisch-Kenntnisse aber auch einfach nicht … Wenn’s aber denn ein Hexameter ist, läge ja auch ein gewisser Sinn darin: Was hat ein Pentameter in einer Hexameter-Beschreibung zu suchen?!
Eigene Hexameter hat Coleridge natürlich auch geschrieben, und die Beschäftigung mit ihnen lohnt sicherlich. Hier sollen aber nur noch zwei folgen, die Coleridge auf der oben erwähnten Reise geschrieben hat – sie finden sich in als Teil eines längeren Hexameter-Stücks in einem Brief, den Coleridge in der Zeit nach dem Besuch bei Klopstock im Winter 1798/99 von Ratzeburg aus an den in Goslar weilenden Wordsworth geschrieben hat, und in denen er seine eigenen Hexameter beschreibt:
All my hexameters fly, like stags pursued by the staghounds,
Breathless and panting, and ready to drop, yet flying still onwards
Starkes Bild, starke Verse!