Friedrich Hölderlins „An den Aether“
Hölderlins Hexameter sind mit die besten. Woran das liegt? Schwer zu sagen. Friedrich Gundolf hat mit Blick auf die Geschichte des deutschen Hexameters geschrieben:
Klopstock versuchte das Hexameter-Schema mit einem gemäßeren pathetischen Gehalt zu füllen, aber man spürt bald die Lücken, bald die überquellenden Wülste: die griechischen Maße, unterm südlichen Himmel beim Rollen des heroischen Meeres geboren, wollten sich dem protestantisch deutschen Enthusiasmus nicht schmiegen. Goethe, dem heidnischen Wiedereroberer Roms, gehorchten sie; aber sie gehorchten doch nur. Doch die Hexameter Hölderlins sind keine metrischen Versuche, keine erfolgreichen Nachahmungen: sie sind der völlig ursprüngliche Ausbruch der inneren Griechheit in deutscher Sprache, sie sind der angeborene Rhythmus dieser Seele, ihr unbefangener, notwendiger Ausdruck, nicht ein Zeugnis seines Könnens, sondern seines Müssens. Kein Schüler der Griechen, sondern nur ihr Bruder konnte so singen. Seine hellenischen Rhythmen sind Urgebilde, von innen nach außen geboren, nicht literarische Kunststücke, von außen nach innen geformt, wie selbst Goethes Achilleis.
Oha. Ich mag solche Texte schon einfach darum, weil sie zeigen, dass man über metrische Fragen mit einem gewissen Schwung schreiben kann!? Inhaltlich hätte ich da schon ein, zwei Bedenken, aber worauf es ankommt, hört man doch durch: Hölderlins Hexameter sind etwas besonderes. Seine besten stehen wahrscheinlich im „Archipelagus“, aber die folgenden stammen aus „An den Aether“ – nicht schlecht, natürlich, und allemal ein erstes brauchbares Beispiel dafür, wie kunstvoll Hölderlin Satz und Vers zu versöhnen versteht.
Aber des Aethers Lieblinge, sie, die glücklichen Vögel
Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters!
Raums genug ist für alle. Der Pfad ist keinem bezeichnet,
Und es regen sich frei im Hause die Großen und Kleinen.
Über dem Haupte frohlocken sie mir und es sehnt sich auch mein Herz
Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimat
Winkt es von oben herab, und auf die Gipfel der Alpen
Möcht‘ ich wandern und rufen von da dem eilenden Adler,
Dass er, wie einst in die Arme des Zeus den seligen Knaben,
Aus der Gefangenschaft in des Aethers Halle mich trage.
Anzumerken gibt es da nicht viel … „Raums genug“ ist ein partitiver Genitiv, „rufen dem Adler“ ging früher leichter von der Zunge als heute; zweimal sitzt eine eher schwache Silbe auf einer Hebungsstelle:
Wunder- / bar zu / ihnen hin- / auf; || wie die / freundliche / Heimat
Aus der Ge- / fangen- / schaft || in des / Aethers / Halle mich / trage.
Gemeint sind „-bar“ und „-schaft“. Bemerkenswert, dass beide auf Stellen stehen, an denen Hölderlin geändert hat (vorher „Töricht oft“ und „Von dem dürftigen Stern“) – das kann aber auch Zufall sein.
Insgesamt hat Hölderlin fast nur „männliche“ Zäsuren, sprich, solche nach einer betonten Silbe; das gilt nicht nur hier, sondern in allen seinen Hexameter-Stücken. Trotzdem sind keine zwei Verse völlig gleich, es kommt in der Versbewegung nirgends Langeweile auf. Eigentlich klingen die Verse so schön, dass es fast gleichgültig ist, was drin steht …