Die Bewegungsschule (9)

Die Sinneinheiten, die bisher nicht in den Vers passen, sind von verschiedener Art. Da gibt es solche, die sich in so gut wie keinen deutschen Vers einfügen, wie die „ta TAM TAM ta“; eine „Salatschüssel“ sucht man in einem metrisch geregelten Text meist vergeblich. Bei anderen wundert es, dass sie mit dem Maß nicht vereinbar sind, das wären zum Beispiel die „TAM ta TAM ta“ – kein „Regenbogen“ in unserem Vers (noch nicht).

Noch verwunderlicher: Ein „Liebesgedicht“ – „TAM ta ta TAM“ – kann in unserem Vers vorkommen, mehrere „Liebesgedichte“ – „TAM ta ta TAM ta“ – aber nicht! Das wäre dann eine der Stellen, wo man sich als Schreibender nach anderen Lösungen umsehen muss …

 

Der Poet, wie im Rausch! trug Liebesgedicht
vor um Liebesgedicht, bis die Stimme ihm brach.

 

„Poet“ statt „Dichter“ – auch eine Wirkung des Drucks, den das Versmaß ausübt. Aber auch wenn so „Liebesgedichte“ erschreibbar sind – um ganz allgemein Sinneinheiten der Form „TAM ta ta TAM ta“ den Zugang zum Vers zu ermöglichen, und auch, um die in (8) angesprochenen „ta TAM ta“ dabei zu haben, gibt der Vers dem Schreibenden die Möglichkeit, die Zäsur zu verschieben – am leichtesten und häufigsten (und hier in der Bewegungsschule: ausschließlich) um eine Silbe nach hinten, also so:

ta ta TAM ta ta TAM ta || ta TAM ta ta TAM

Das sollte aber die Ausnahme bleiben – die bei weitem häufigere, die Haupt-Zäsur liegt, wie bisher gezeigt, genau in der Mitte des Verses:

ta ta TAM ta ta TAM || ta ta TAM ta ta TAM

Das ist das alte Spiel solcher geregelten Verse: Zum einen muss durch die Wiederholung der Bestandteile ein Gefühl der Zusammengehörigkeit geschaffen werden, zum anderen durch Abwandlung der Eindruck von Gleichförmigkeit vermieden werden. Dieses Ziel erreicht man, indem immer mal wieder – sagen wir, im Schnitt alle fünf, sechs Verse – ein Vers mit „weiblicher“ (= nach einem „ta“) Zäsur (Abwandlung) gemischt wird unter die weit zahlreicheren Verse mit „männlicher“ (= nach einem TAM) Zäsur (Wiederholung). Wie oft genau?! Da kommt dann das einzelne Ohr zum Tragen, der Geschmack des jeweiligen Schreibenden; aber ich schlage doch vor, sparsam damit zu sein, weil der Text sonst seine bestimmte, klare Linie verliert,

 

und die Verse sich müde bewegen wie hier.

 

ta ta TAM ta / ta TAM ta || ta TAM ta / ta TAM

Da stecken gleich zwei „ta TAM ta“ drin, und wirklich: den Gesellen gegenüber sollte man vorsichtig sein!

 

Das sind Liebesgedichte der leichteren Art,
Voll heiteren Scherzen und neckendem Spiel.

 

ta ta TAM ta ta TAM ta || ta TAM ta ta TAM
TAM TAM ta ta TAM ta || ta TAM ta ta TAM

Zwei Verse, die zeigen, dass sich durch diese Verschiebung der Zäsur einige neue Sinneinheiten gewinnen lassen (auch jenseits der „Liebesgedichte“), dass sich der Vers immer noch schnell und schön gegliedert bewegt – und dass die Bewegung doch leicht, aber spürbar anders ist als bei der „TAM-Zäsur“.

All das braucht jetzt einige Übungsverse, denke ich?! Vielleicht lohnt es sich dabei ja, auch nach längeren Worten zu suchen, wie eben „Liebesgedichte“, und die neue Zäsur und Verseinteilung mit ihrer Hilfe zu erproben; denn im „richtigen Gedicht“, jenseits der Übung, kommen solche Worte oft zu kurz, finde ich.

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