Hermann Hesses große Liebe zur Gartenarbeit spricht auch aus seinem „Tagebuchblatt“, das in „Hermann Hesse: Die Gedichte. 1892 – 1962“, erschienen 1977 bei Suhrkamp, auf Seite 667 zu finden ist. Dem Titel angemessen ist das Gedicht in sehr entspannten Blankversen geschrieben, die sich hier und da auch mal eine kleine Freiheit gönnen … Im gleich folgenden ersten Abschitt des Werkes sind das vor allem Abweichungen bezüglich der „Schwere Silben in die Hebung, leichte Silben in die Senkung“-Grundordnung!
Am Abhang hinterm Hause hab ich heute
Durch Wurzelwerk und Steine eine Grube
Gehauen und gegraben, tief genug,
Und jeden Stein aus ihr entfernt und auch
Die spröde, dünne Erde weggetragen.
Dann kniet ich eine Stunde da und dort
Im alten Wald und sammelte mit Kelle
Und Händen aus vermoderten
Kastanienstrünken jene schwarze, mulmige
Walderde mit dem warmen Pilzgeruch,
Zwei schwere Kübel voll, trug sie hinüber
Und pflanzte in die Grube einen Baum,
Umgab ihn freundlich mit der torfigen Erde,
Goss sonngewärmtes Wasser langsam zu
Und schwemmte, schlämmte sanft die Wurzel ein.
Der Einstieg ins Gedicht besteht aus sechs ganz gleichmäßigen Blankversen. Im siebten gibt es dann aber eine leichte Abweichung:
Im alten Wald und sammelte mit Kelle
Das gekennzeichnete „-te“ ist eine sehr leichte Silbe, besetzt hier aber trotzdem eine Hebungsstelle! Das ist bezüglich des Metrums noch machbar, denn die Nebensilben „-mel“- und „mit“, die ja Senkungen besetzen, sind ihrerseits auch ziemlich leicht, so dass kein größerer Verstoß fühlbar wird. Im Vortrag führt diese Silbenwahl allerdings ziemlich sicher dazu, dass alle drei Silben unbetont und schnell gelesen werden, der Vers also leichter wird und weniger umfangreich?! Der nächste Vers zeigt eine ähnliche Erscheinung:
Und Händen aus vermoderten
Selbst wenn das gerötete „-ten“ als Hebung zählt, ist der Vers nur vierhebig – aber das ist ja, wie schon besprochen, eine Möglichkeit, die dem Blankvers offensteht. Nimmt man die erste Silbe des Folgeverses dazu, steht das „-ten“ zwischen „-der-“ und „Kas-„, so dass es dem Metrum nach wieder auf einer Hebung stehen könnte; bei der Aussprache würde ich vermuten, dass diese Silbe „halbbetont“ gelesen wird, da der Versschluss ja doch immer leicht herausgehoben wird?! Auch im nächsten Vers gibt das Versende zu denken:
Kastanienstrünken jene schwarze, mulmige
Hier bietet das in Rot gesetzte „-e“ zwei Möglichkeiten – einmal, bei angenommenem strengen Wechsel zwischen betonten und unbetonten Silben, wäre es eine Hebung, der Vers also sechshebig und damit gleichsam ein Ausgleich zum vorhergehenden vierhebigen Vers; allerdings ist es schwer, das „-e“ dann auch irgendwie zur Geltung zu bringen, erst recht angesichts des am Anfang des nächsten Verses folgenden „Wald-„?!
Die zweite Möglichkeit ist, das „e“ als zweite unbetonte Silbe zu sehen, also eine zweisilbig besetzte Senkung anzunehmen:
x X x X x X x X x X x x
Das scheint mir am sinnvollsten, auch wenn derlei am Versende eher ungewöhnlich ist; dann ist der Vers fünfhebig und man liest das „mulmige“ einfach „wie immer“ …
Die bisher angesprochenen Verse hatten Hebungsstellen mit recht schwachen Silben besetzt; im folgenden Vers ist es genau andersherum:
Walderde mit dem warmen Pilzgeruch,
Das „im Wort“ eigentlich die Betonung tragende „Wald-“ steht hier auf einer Senkungstelle?! Na ja, das ist eine Sache, die nicht nur den Blankvers betrifft, sondern mit der alle alternierenden Maße zu kämpfen haben: die Wörter der Bildung „betonte Slibe – stark nebenbetonte Silbe – unbetonte Silbe“, wofür „Walderde“ ein Beispiel ist; und die schwer bis gar nicht eingepasst werden können in ein alternierendes Metrum.
Wenn man sie nicht einfach weglassen oder umschreiben möchte, sondern aus Gründen der Auflockerung doch in den Text nimmt, oder weil ohne sie eben nicht auszukommen ist: dann machen es die Dichter üblicherweise wie Hesse hier auch, sie setzen die stärker betonte Silbe in die Senkung und die schwächer betonte Silbe in die Hebung; im Vortrag führt das dann oft zu einer „schwebenden Betonung“, was heißt, dass die beiden Silben nahezu gleichstark betont werden; und dabei etwas schwächer als eine „normal“ betonte Silbe.
Sparsam eingesetzt, ist auch das eine willkommene Auflockerung des steten „Auf und Ab“, und vor allem im Verseingang stört es eigentlich kaum! Wenn nach einem derartigen dreisilbigen Wort zwei eher schwache Silben folgen, wie hier, kann man aber auch gut folgende Bewegungslinie lesen:
Wald–erde mit dem warmen Pilzgeruch,
Also vorne beide Silben kräftiger betonen, dafür die folgende Hebungssilbe (hier: „mit“) weitestgehend drücken. In meinen Ohren recht wohlklingend!
Nach diesem etwas aufgelockerten Mittelstück bietet der Absatz dann nur noch eine kleinere Abweichung:
Umgab ihn freundlich mit der torfigen Erde,
Im Gegensatz zu den schon genannten Versen ist das rote „-gen“ hier aber einfach nur Teil einer doppelt besetzten Senkung; als Hebung kommt es angesichts der starken Folgesilbe „Er-“ sicher nicht in Betracht!
Insgesamt zeigen die Beispiele aber sehr schön, wie locker und selbstverständlich die Sprache im Blankvers werden kann, ohne dabei das „Vers-Gefühl“ aufgeben zu müssen!
(Eine davon ganz unabhängige, mich aber doch störende Sache ist dieser „Steine eine“-Reim im zweiten Vers; solche unbeabsichtigten – ich nehme an, er war unbeabsichtigt – Gleichklänge lenken das Ohr nur ab … Aber das kann man natürlich auch anders sehen, äh: hören.)