„Der Blankvers ist ein alternierender, fünfhebiger und reimloser Vers“. Abweichungen von den ersten zwei der drei Bestandteile dieser Bestimmung kamen in den Beispielen der letzten Beiträge schon vor; hier soll es nun um das Einmischen von gereimten Versen gehen.
Das dient oft der Heraushebung besonderer Inhalte; es kann aber, wie im folgenden Text, einfach nur der Auszeichnung des Anfangs wie des Endes dienen. „Walter Höllerer: Gedichte 1942 – 1982“, erschienen 1982, enthält auf den Seiten 60 und 61 „Die Sprache dieser Jahre“, einen Text, der so losgeht:
Die Straße die uns auffing ist gefroren.
Sie spiegelt Lichter Treppen Post und Ware.
Sie liefert uns die Strafe dieser Jahre.
Sie sind ein Freund von warmen U-Bahn-Schächten?
Sie blasen in der Sonne gern Trompete?
Die Nase die ich aushing als ein Schild.
Das Ohr das mir ein Wörtchen apportierte:
Sie sind ein Freund von schweren Flugmaschinen?
Da ging die Straße auf vor unseren Füßen.
Blankverse eigenen Klangs schon dadurch, dass wirklich jeder einzelne Vers einen einzelnen Satz enthält. Auffällig aber vor allem der zweite und der dritte Vers, die gereimt sind! Danach gibt es weder im hier vorgestellten Text noch in den 27 darauf folgenden Versen einen Reim, ehe das Gedicht dann mit diesen Versen schließt:
Die Sprache tatzt sich vor in deine Höhle,
Vor der ich liege, und ich spitz‘ die Ohren.
Mein Fell im Rücken zittert. Deine Höhle –
Ich bin ihr Bär und bin ihr Hund –
Erfährt den jähen Riss im Hintergrund.
Da sind die Versenden wieder, wie am Anfang, ausgezeichnet: einmal der fünft- und der drittletzte Vers durch die Wiederholung des „deine Höhle“, und anschließend die letzten beiden Verse durch den Reim „Hund / -grund“; ein mehr an Ordnung, das aber gleich wieder vermindert wird dadurch, dass der vorletzte Vers nur vier betonte Silben hat (als einer von zwei Versen im ganzen Gedicht)!?
Nicht nur um Hervorhebung des Inhalts, sondern Inhalt selbst sind solche Verse in Goethes „Faust II“, „Innerer Burghof“; da ist Helena bei der Begegnung mit Faust schon aus dem antiken „Trimeter“ in den Blankvers gewechselt, in dem sie dann ihren Eindruck der zuvor von Lynceus gesprochenen Reimverse schildert:
HELENA
Vielfache Wunder seh‘ ich, hör‘ ich an,
Erstaunen trifft mich, fragen möcht‘ ich viel.
Doch wünscht‘ ich Unterricht, warum die Rede
Des Manns mir seltsam klang, seltsam und freundlich.
Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen,
Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,
Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen.
FAUST
Gefällt dir schon die Sprechart unsrer Völker,
O so gewiss entzückt auch der Gesang,
Befriedigt Ohr und Sinn im tiefsten Grunde.
Doch ist am sichersten wir übens gleich,
Die Wechselrede lockt es, ruft’s hervor.
HELENA
So sage denn, wie sprech‘ ich auch so schön?
FAUST
Das ist gar leicht, es muss vom Herzen gehn.
… und damit sind dann nicht nur die beiden im paargereimten Fünfheber angekommen, sondern auch Helena in Faustens nicht- und nachantiker Welt.
Man sieht: Der Wechsel vom Blankvers zum gereimten Fünfheber (und zurück) bietet mache bedenkenswerte Möglichkeit!?