Der Eremit von Sede
In des Reiches größter und wichtigster Stadt,
Die mehr Bürger als der Himmel Sterne hat,
Inmitten gewaltiger Menschenmassen,
Die sich auf Plätzen, in Straßen und Gassen
Drängeln, dass man den Boden nicht sieht,
Lebt seit Jahrzehnten ein Eremit.
Ich kenn ihn seit langem, sein graues Gewand,
Seinen grauen Bart, in der nervigen Hand
Den knorrigen Stab, so schritt er schon oft
Grußlos vorbei, wenn wir unverhofft
Auf der Straße uns trafen. Heute nun wage
Ich endlich, ihn anzureden und frage:
Ist’s nicht Sinn Eures Lebens, einsam zu sein,
Der Menschen Gesellschaft zu meiden? Allein:
Ihr weicht nicht zurück vor der riesigen Menge
Und schreitet arglos durch‘s größte Gedränge!
Er schweigt und wedelt mit seinen Fingern
Seltsam Zeichen: Meine Sinne schlingern,
Dann kann ich – wie ist mir geschehen?
Die Stadt mit des anderen Augen sehen,
Und sehe sie leer! Wo Kinder liefen,
Wo Händler laut ihre Preise ausriefen,
Edle Frauen gemächlich wandelten
Und Mägde lautstark feilschten und handelten,
Ist nichts zu sehn als ein Fliegenschwarm,
Zu hören nichts als ein Summen. Der Arm
Wirft neue Gesten, und wunderlich
Dreht sich erneut die Welt um mich:
Ich bin wieder ich, meine Augen sehen
Vor mir den Eremiten stehen;
Noch einmal wedelt er die Insekten fort
Und dreht sich und geht ohne ein Wort.