Erzählverse: Der trochäische Vierheber (19 )

Karl Immermanns „Tulifäntchen“ ist ein nicht allzu ernstes, nicht allzu langes Versepos, oder wie der Untertitel sagt: Ein „Heldengedicht in drei Gesängen“. An manchen Stellen liest sichs etwas altertümlich, aber meistens fällt das Alter des Textes gar nicht so sehr auf (er stammt in dieser Fassung aus dem Jahr 1835). Es ist also auf jeden Fall ein text, den sich jemand, der mit Versen erzählen will, ansehen sollte; besonders beachtenswert wird er aber durch den Umstand, dass Heinrich Heines Bemerkungen und Änderungsvorschläge zum „Tulifäntchen“ erhalten sind! Dem hatte Immermann sein Werk geschickt zur Durchsicht, und Heine hat viele Änderungen vorgeschlagen und dabei begründet; die Immermann angenommen hat oder auch nicht, je nachdem. Jedenfalls ist so ein Blick in die Dichter-Werstatt möglich, das Arbeiten zweier Wort-Handwerker am Text. Dazu aber später; in diesem Eintrag möchte ich erst einmal einen kurzen Abschnitt vorstellen, um einen Eindruck von der Art des Textes zu vermitteln. Worum geht es?

Das Epos erzählt von Don Tulifant und Donna Tulpe, die einen Sohn bekommen, der nur einen Finger groß ist, aber schließlich trotzdem auf Abenteuer auszieht und diese auch besteht: Tulifäntchen. Nachdem der Held im ersten und zweiten Gesang seine Heldentaten vollbracht hat, steht am Beginn des dritten Gesangs wieder ein Blick auf Tulifäntchens Eltern, genauer: auf Don Tulifant am Sarg seiner Frau – von den Taten seines Sohnes weiß er nichts.

 

Seine Lippen öffnet klagend
Tulifant, der alte Degen:
„Nun steh‘ ich allein auf Erden!
Meine Donna ist gestorben,
Und mein Söhnlein ist verschollen,
Liegt wohl auch im Grab, dem kleinen.
O wann kommst du, Tod? Wann forderst
Du den letzten Tulifanten?“

Sieg und Segen! Fest und Glorie!
Paukenhall, Trompetenschmettern!

Kam ein Page, blau mit Silber,
Trug auf rotem Sammetkissen
Dar die Leiche einer Brummflieg‘:
„Dieses sendet, Heldenvater,
Tulifäntchen Fliegentöter,
Des Pantoffelordens Ritter!“

Sieg und Segen! Fest und Glorie!
Paukenhall, Trompetenschmettern!

Kam ein Page, weiß mit Lila,
Trug auf rotem Sammetkissen
Dar den Stift des Maschinisten:
„Dieses sendet, Heldenvater,
Tulifäntchen Mauerstürzer,
Erb- und Lehnsherr von Brambambra!“

Sieg und Segen! Fest und Glorie!
Paukenhall, Trompetenschmettern!

Kam ein Page, grün mit Golde,
Trug auf rotem Sammetkissen
Dar das Stück von einem Strumpfband:
„Dieses sendet, Heldenvater,
Hoheit Tulifäntchen Kronprinz,
Eidam Kön’gin Grandiosens!“

Aufschrie laut der alte Vater
Bei so ungeheurer Botschaft,
Fasste nach dem Herzen schmerzlich,
Weiß ward sein Gesicht, er lächelt‘
Durch die letzte Pein so selig:
„Gleich muss ich zu Donna Tulpe,
Ihr von unsrem Sohn berichten!“ –

Sprach’s, und auf der Gattin Leiche
Fiel er, atmete den süßen
Freuden-Todesseufzer aus.
Die drei Pagen stehn bestürzet,
Trauer blasen die Trompeten,
Leichenklage hallt die Pauke;
Gines grub am Erlenhügel
Unter Reif und Wintersturme
Bei dem ersten Grab das zweite.

 

Gines ist der Bedienstete des Paares. Insgesamt eine seltsame Mischung aus ernstem und gar nicht ernstem, aber mir gefällt es sehr; auch, weil man den ganzen Text hindurch spürt, wie sehr der Verfasser an ihm hängt. Wer mag, kann ja mal reinlesen, er steht mehrfach im Netz; da erfährt man dann auch, was der „Stift des Maschinisten“ ist! Hier aber sollen beim nächsten Mal Heines Anmerkungen im Mittelpunkt stehen.

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