Erzählverse: Der Hexameter (27)

Singe den Zorn

„Singe den Zorn“ ist eine, laut Wikipedia, ästhetisch eigensinnige Verfilmung von Homers Epos Ilias in den deutschen Versen von J.H. Voß, gedreht an Original-Schauplätzen in und um Troia. Homer also im Gewand der Voßschen Hexameter! Da lohnt doch bestimmt das Reinhören in den

Trailer

Zwei etwas längere Abschnitte sind drin, einmal aus dem achtzehnten Gesang:

 

Siehe da kam ihm nahe der Sohn des erhabenen Nestor,
Heiße Tränen vergießend, und sprach die schreckliche Botschaft:
Wehe mir, Peleus‘ Sohn, des Feurigen, ach ein entsetzlich
Jammergeschick vernimmst du, was nie doch möchte geschehn sein!
Unser Patroklos sank; sie kämpfen bereits um den Leichnam,
Nackt wie er ist; denn die Waffen entzog der gewaltige Hektor!
Sprach’s; und jenen umhüllte der Schwermut finstere Wolke.

 

Ja, kann man wohl so sprechen wie es die Damen und Herren hier getan haben (wenn ich’s auch anders hielte). Bemerkenswert, dass der Versschluss hinter „entsetzlich“ so deutlich gemacht wird; dafür kommt dann eine etwas befremdliche Pause bei „Patroklos“. Warum im letzten Vers „finsterer“ gelesen wird, ist mir rätselhaft?

 

Sprach’s, und schändlichen Frevel ersann er dem göttlichen Hektor.
Beiden Füßen nunmehr durchbohret‘ er hinten die Sehnen,
Zwischen Knöchel und Fers‘, und durchzog sie mit Riemen von Stierhaut
Band am Sessel sie fest, und ließ nachschleppen die Scheitel;
Trat dann selber hinein, und erhob die prangende Rüstung;
Treibend schwang er die Geißel, und rasch hinflogen die Rosse.
Staubgewölk umwallte den Schleppenden; rings auch zerrüttet
Rollte sein finsteres Haar, da ganz sein Haupt in dem Staube
Lag, so lieblich zuvor! (allein nun hatt‘ es den Feinden
Zeus zu entstellen verliehn in seiner Väter Gefilde.)

 

Aus dem zweiundzwanzigsten Gesang. Hier werden nun die Versübergänge – zerrüttet / Rollte, Staube / Lag vollständig unbeachtet gelassen. Da hatte dann wohl auch jeder seine eigene Vorstellung … Schade auch, dass die Lesenden die „geschleiften Spondeen“, auf die Voß so viel Wert gelegt hat, weitgehend „aufgelöst“ haben: „ließ nach- / schlepp-“ ist hier so gelesen, dass „ließ“ fast unbetont ist – im Metrum ist es aber eine Hebung. Hm.

Nochmal Wikipedia: „Singe den Zorn“ gilt als einmalige gelungene Darbietung der komplizierten deutschen Hexameter.

Nun könnte man, erstens, darüber streiten, inwieweit Voß‘ Hexameter, in ihrem „griechischen Bemühen“, „deutsche“ Hexameter sind; man könnte sich, zweitens, fragen, ob deutsche Hexameter „kompliziert“ sind; und man könnte, drittens, das „gelungen“ hinterfragen. Aber gut, das geht nicht wirklich, solange man nicht den ganzen Film gesehen hat?!

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