Wenn Wilhelm Müller nicht gerade an seinen bekannteren Versen gefeilt hat („Am Brunnen vor dem Tore / Da steht ein Lindenbaum“), flossen ihm schon einmal Gedichte wie dieses aus der Feder:
Das Versteck der Liebesgötter
Kleine Liebesgötter sitzen
Dir in jedem Lockenringe,
Und aus diesem Hinterhalte
Schießen sie nach mir mit Pfeilen.
Pfeile sind die goldnen Strahlen,
Die aus deinen Haaren leuchten,
Und sie legen sie zum Zielen
Auf die Bogen deiner Augen.
Es fällt leicht, diese Verse schlecht zu finden, und ich werde sicherlich niemandem widersprechen, der das tut. Ein anspruchsloses Maß, wie es der Vierheber nun einmal ist, genutzt, um mit schon zu Müllers Zeiten altmodischen Versatzstücken Platitüden unter die Leute zu bringen – ein unpersönliches, schematisches Wortgeklingel. Trotzdem möchte ich solche Texte schreiben können, angepasst ans 21. Jahrhundert, und glaube, dass die Schreibenden etwas verloren haben, wenn sie sich derlei nicht mehr gestatten; man sehe mir diese Wunderlichkeit nach, und auch, dass ich sogar noch einen zweiten derartigen Text anhänge, den Müller wie den ersten und weitere unter „Berenice. Ein erotischer Spaziergang“ versammelt hat:
Amors Schere
Amor schleicht mit einer Schere
Um dein Lockenhaupt verstohlen.
Nimm in acht dich vor dem Gotte,
Denn er will das Haar dir scheren,
Weil er sieht, dass alle Herzen
Nur in deinen Locken hängen.
Will er für ein andres Plätzchen
Auch einmal ein Herzchen haben,
Muss er es aus deinen Locken
Erst mit List und Mühe lösen.
Offengelegt das Wenige, auserklärt, kein Weg, der irgendwohin führt von hier aus; auch das ein Wert. Wie der Vierheber, der dazu aufs vorzüglichste passt.