Paul Heyses „Thekla“ (3)
Der dritte Gesang beginnt mit einem Aufruhr vor Theklas jüdisch-christlichem Nachbarhaus: Der am Tag zuvor gekommene Apostel predigt, zur Begeisterung der Christen und zur Empörung der Heiden. Sein Reisebegleiter vom Vortag, der Goldschmied Hermogenes, kommt herüber zu Theklas Mutter Theoklia und berichtet. Zum Beispiel über die Empörung vor der Tür des Nachbarhauses:
Aber ein stämmiger Bursch schrie laut und ballte die Fäuste:
Memmengeschwätz! Gebt Raum! Und säß ein Dutzend Dämonen
Unter dem Schädel des Schurken, ich schlüg ein Loch in die Zelle,
Dass sie eilten, woanders und ruhiger unterzukommen!
Nicht „Macht Platz“, oder „Zur Seite“, oder „weg da“, sondern: Gebt Raum! Mmmm… Alleine für diesen Ausdruck hat sich das Lesen schon gelohnt. „Schädel“, „Schurken“, „schlüg“ erinnert mich daran, dass ich mal ausprobieren wollte, wie sich der Hexameter als Stabreimgrundlage macht …
Jedenfalls halten die Einwohner den Apostel für einen mit Dämonen verbündeten Zauberer:
Liefert den Zauberer aus! Heraus mit dem Judenpropheten!
Als der Apostel sich wirklich zeigt, bekommt der „stämmige Bursch“ einen Anfall und wälzt sich zuckend in der Gasse. Theklas Mutter ist von alledem… nicht angetan. Sie eilt zur Kammer der Tochter – und findet sie weit aus dem Fenster gelehnt, um besser hören zu können. Die Mutter ist entsetzt!
Kind, vom Fenster zurück! Was hast du getan? Der Bezaubrung
Gabst du dich preis, unwissend, wie finsterer Macht du anheimfällst!
Die Tochter sieht das anders. Sie sagt über die Predigt:
Mutter, ich kann nicht sagen, wie wohl mir ward. Die Gedanken
Schweben so leicht; mir ist, ich sei vom Tode genesen.
Wenn man beim Amphibrach auch unterschiedlicher Meinung sein kann, bei einer anderen über dem Grundmetrum hörbaren rhythmischen Einheit sind sich alle einig. „X x x X„, der Choriambus, gilt als eine der schönsten rhythmischen Figuren der deutschen Sprache! Hier wird sie sowohl von der Mutter (Gabst du dich preis) als auch von der Tochter (Schweben so leicht) benutzt, die jeweiligen Verse haben aber trotzdem einen sehr verschiedenen Klang.
Theoklia lässt Thamyris rufen und klagt dem Noch-Verlobten ihr Leid. Der erweist sich aber als der Depp, den man in ihm schon vermutet hatte:
Ists nicht Diese, so sind zehn Andere, die sich die Augen
Längst ausgaffen nach mir. Nun will ich hinauf zu der Närrin;
Und damit lässt er die Mutter stehen. Thekla kündigt dem Wütenden die Verlobung auf und schließt mit
Fahre du wohl, und mögen dich glückliche Sterne geleiten!
So hübsch würde man das heutzutage wohl nicht mehr ausdrücken … Beachtenswert aber auch hier der Choriambus (Fahre du wohl) und die Zäsur nach „mögen“; die ist zwar schwach, aber wenn man da keine kurze Pause spricht, klingt der Vers gar nicht?!
Thamyris, jetzt noch viel wütender, stürzt zum Nachbarhaus, um dem Apostel an den Kragen zu gehen; dabei läuft er dem Philosophen, der am Vortag mit dem Apostel und dem Goldschmied in die Stadt gekommen war, in die Arme. Demas (so des Philosophen Name) hält ihn auf und führt ihn fort; aber nur, damit Thamyris nicht zu Schaden kommt, nicht, weil er das Christentum schätzt:
Was, seit Menschen gelebt, noch einzig der Mühe des Lebens
Wert schien, edler Genuss und herzliche Freude der Sinne,
Toll ists, das zu verachten, sich des zu schämen, ein Wahnsinn.
„edler Genuss„. „Memmengeschwätz!“ ganz am Anfang war übrigens auch so ein Choriambus. Wenn man erst einmal anfängt, darauf zu achten …
Nein, ein Märchen gesponnen und tapfer geglaubt und im Notfall
Sich drauf kreuzigen lassen. Sie dünken sich wunder wie edel,
Wenn sie gen Himmel gestarrt und darob die Hälse gebrochen.
Tja, wahrlich kein Christenfreund, wenn auch aus weniger abergläubischen Gründen als das einfache Volk…. Jedenfalls zieht er mit Thamyris ab, um die Dinge juristisch anzugehen. Die Geschichte nimmt an Fahrt auf!