Paul Heyses „Thekla“ (8)
Wer mit hohem Entschlusse dem Leben entsagt und die Seele
Schon in den Tod einweihte, von Hoffnungen, Ängsten und Freuden,
Welche das Dasein füllen, sie reinigend, kaum der Errettung
Kann er sich freun, und riefe sie ihn in die Arme der Liebe,
Ihn in die Jugend zurück, wo Tag‘ und Nächte so schön sind.
Am Anfang des Gesangs ein schöner, langer, durch fünf Verse sich schlingender Satz, der klar macht, dass die gute Thekla nach dem missglückten Opfer etwas durch den Wind ist. Auch zweifelt sie: War sie nicht wert, geopfert zu werden? Jedenfalls wälzt sich die Menschenmenge zurück in die Stadt, Thekla mittendrin.
Um die Daktylen noch einmal aufzunehmen, von denen beim sechsten Gesang die Rede war: Da hatte ich ja behauptet, dass sie bei Heyse sehr leicht sind. Manchmal sind sie nun aber auch zu leicht:
Kann er sich / freun, und / riefe sie / ihn in die / Arme der / Liebe,
Ihn in die / Jugend zu- / rück, wo / Tag‚ und / Nächte so / schön sind.
Bei den Daktylen „ihn in die“ ist die betonte Silbe mit dem Fürwort „ihn“ besetzt, und das ist zum einen ohnehin eine sehr leichte Silbe, und zum anderen ist sie prosodisch nicht schwerer als die unbetonten Silben „in“ und „die“. Dadurch ist es gar nicht einfach, die Hebung zu finden, meist muss man schon Silben abzählen – und das kann ja nicht der Sinn sein! Im zweiten Vers ist diese Schwierigkeit nicht da, weil das „Ihn“ ja auf der ersten Silbe steht, und die ist ohnehin betont – alles in Ordnung!
Inhaltlich ist die Aufregung noch nicht vorbei: Die beiden Löwen, die von den Kybelepriestern gehalten werden, sind im Gewitter freigekommen und nähern sich dem Menschenzug! Alles flieht, nur die noch benommene Thekla bemerkt die Löwen erst, als sie fast schon vor ihr stehen. Sie beschließt, nicht zu fliehen:
Und mit raschem Besinnen entscheidet sie, dass sie den Feinden,
Wenn sie allein nacheilt, zu gewisserer Beute sich preisgibt,
Als mit mutigem Blick und sicherer Stirn sie erwartend.
Also geschah’s. Nachdenklich die Mähnenhäupter bewegend
Schreiten die Stolzen heran. Nun halten sie, als sie das Mädchen
Sehn, und heftig im Kreise den Schweif an die steinernen Platten
Schlagend, in staunendem Zorn betrachten sie lange die Jungfrau.
Doch nicht sinkt ihr Auge; sie hält den gewaltigen Blick aus,
Schon mit dem Tode vertraut, des glühender Flügel sie streifte.
Und so stehn sich die Drei um Speerwurfs Weite genüber,
Ferne das zaudernde Volk, das lautlos wartet des Ausgangs –
Horch, da erheben die Tiere verdrossenes Heulen, und plötzlich,
Einer dem andern nach, entweichen sie rechts in die Felder.
Auch die Begegnung mit den Löwen hat Heyse aus der Heiligen-Legende übernommen. Thekla nutzt die Verwirrung, um alleine in die Stadt zu schlüpfen. Vor dem Elternhaus findet sie den Philosophen Demas, der ihr berichten muss, dass Theklas Mutter aus Gram über den vermeintlichen Tod der Tochter gestorben ist! Thekla geht hinein, verabschiedet sich, kommt wieder und bittet Demas, sich um den Verkauf des Hauses zu kümmern; sie halte nichts mehr in Ikonium. Demas weiß, sie will dem Apostel nach. Er ist nicht begeistert:
Soll ich es selber sagen? Ich seh‘ voll Trauer, es zieht dich
Jener gefährliche Mann sich nach, um den du so viel schon
Duldetest, dem nun völlig das Herz dich Ärmste dahingibt.
Im zweiten Vers ist wieder so ein überleichter Daktylus:
Jener ge- / fährliche / Mann sich / nach, um / den du so / viel schon
Nicht, dass das jetzt ein schlechter Vers wäre – aber es ist wohl schon besser, man kommt ohne solche Daktylen aus, und noch besser, ohne Reihungen von inhaltsleeren Einsilbern wie hier:
Jener gefährliche Mann sich nach, um den du so viel schon
Thekla ist, wie zu erwarten, nicht zu halten:
Vielfach ist ja das Glück und Jeder erhofft sich das seine;
Meins ist einzig bei ihm. Was gilt die Welt und der Menschen
Schmähende Rede mir? Vor tausend Augen ein Schauspiel
Stand ich, den Heiland zeugend im Angesichte des Todes.
„den Heiland zeugend“ finde ich ja etwas missverständlich … Jedenfalls: Lästig an diesen Einsilbern ist eben auch, dass manchmal noch nicht einmal das Abzählen hilft. Der erste Vers etwa:
Vielfach / ist ja das / Glück und / Jeder er- / hofft sich das / seine;
Ich würde ihn so sprechen, mit einem Daktylus als zweite Einheit – die Silben sind so leicht, dass drei gerade reichen, um die Einheit zu füllen. Aber es würde auch so gehen:
Vielfach ist / ja das / Glück und / Jeder er- / hofft sich das / seine;
Demas ist schließlich doch überzeugt:
Und in tiefer Bewegung erwidert‘ er: gehe, wohin dein
Geist, oh Mädchen, dich ruft! Dir ist kein Warner von Nöten.
Denn dich warnt dein Sehergemüt, dich leitet die Klarheit
Deines begeisterten Muts vorbei am schwindelnden Abgrund.
…
Fahre denn wohl! Mir bleibt dein Bild wie ein Stern in der Seele.
Ganz frei von irgendwelchen Leerstellen! Und natürlich sind Heyses Verse das fast immer, nicht, dass da falsche Eindrücke entstehen.
Ich würde mich übrigens nicht wundern, wenn dem einen oder anderen diese Verse etwas kitschig vorkommen?! Ich finde sie … angemessen; was die andere Einschätzung nicht notwendigerweise ausschließt.