Erzählverse: Der Hexameter (44)

Verse in Versen

Es gibt viele Gedichte, die den Hexameter als Grundlage haben, auch wenn man es ihnen von außen nicht unbedingt ansieht – viele freie Verse zum Beispiel sind aus Bruchstücken von Hexametern aufgebaut, manchmal beschränkt sich die Veränderung sogar darauf, dass der Hexameter zerschnippelt und auf mehrere Verse verteilt wird. Friedrich Hölderlins berühmtes „Patmos“ etwa ist da durchaus in Verdacht. Der Anfang lautet:

 

Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Im Finstern wohnen
Die Adler und furchtlos gehn
Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
Auf leichtgebaueten Brücken.

 

Das lässt sich vom Anfang weg auf zwei Hexameter verteilen:

Nah ist und schwer zu fassen der Gott. Wo aber Gefahr ist,
Wächst das Rettende auch. Im Finstern wohnen die Adler

Nah ist und / schwer zu / fassen der / Gott. || Wo / aber Ge- / fahr ist,
Wächst das / Rettende / auch. || Im / Finstern / wohnen die / Adler

Und das sind, wie hinzuzufügen wäre, noch nicht einmal schlechte Hexameter. Nimmt man die „Adler“ noch einmal auf, kann man mit ihrer Hilfe den Rest des Textes in zwei weitere Hexameter überführen:

Wohnen die Adler und furchtlos gehn die Söhne der Alpen
Über den Abgrund weg auf leichtgebaueten Brücken.

Wohnen die / Adler und / furchtlos / gehn || die / Söhne der / Alpen
Über den /Abgrund / weg || auf / leichtge- / baueten / Brücken.

Irgendwie schwer vorstellbar, dass Hölderlin hier den Hexameter nicht zumindest im Ohr gehabt hat?! Auch die vier „männlichen“ Zäsuren nach betonter Silbe sind in diesen „erschlossenen Versen“ sicher kein Zufall; solche Zäsuren hat Hölderlin in seinen Hexametern fast ausschließlich verwandt!

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