Erzählverse: Der Blankvers (30)

Am siebten Januar 1838 spielte Clara Wieck in Wien Beethovens F-moll-Sonate, und noch am selben Tag schrieb Franz Grillparzer dazu diese Blankverse:

 

Clara Wieck und Beethoven
(F-moll-Sonate)

Ein Wundermann, der Welt, des Lebens satt,
Schloss seine Zauber grollend ein
In festverwahrten, demantharten Schrein,
Und warf den Schlüssel in das Meer und starb.
Die Menschlein mühen sich geschäftig ab,
Umsonst! kein Sperrzeug löst das harte Schloss,
Und seine Zauber schlafen wie ihr Meister.
Ein Schäferkind, am Strand des Meeres spielend,
Sieht zu der hastig unberufnen Jagd.
Sinnvoll gedankenlos, wie Mädchen sind,
Senkt sie die weißen Finger in die Flut
Und fasst, und hebt, und hats. – Es ist der Schlüssel!
Auf springt sie, auf, mit höhern Herzensschlägen,
Der Schrein blinkt wie aus Augen ihr entgegen,
Der Schlüssel passt. Der Deckel fliegt. Die Geister,
Sie steigen auf und senken dienend sich
Der anmutreichen, unschuldsvollen Herrin,
Die sie mit weißen Fingern, spielend, lenkt.

 

„Das schönste überhaupt, was je über dich geschrieben ist“, hat Claras zukünftiger Gatte, Robert Schumann, über dieses Gedicht ihr geschrieben.

Hm.

Sicher, und deswegen steht es hier, ist es ein Gedicht, das die Vorzüge des Blankverses schön herausstellt. Eine anziehende Nachlässigkeit waltet über allem: Ein Vierheber gleich zu Beginn, noch dazu als Teil eines Reimpaares;  später klingelt dann noch ein Reimpaar an inhaltlich nicht besonders ausgezeichneter Stelle dazwischen … Das passt ganz gut zum Inhalt, finde ich, der ja nicht gerade schwergewichtig daherkommt und in einem strengeren Gewand verkleidet aussähe?!

So aber ists eine angenehm zu lesende Versprachlichung von Grillparzers offenbar nachhaltigem Eindruck. Wer mag, kann sich die Sonate ja mal anhören; leider nicht von Clara Wieck / Schumann …

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