Als ich vor Zeiten in „Herders Konversationslexikon“ von 1855 las, dass Johann Ladislaus Pyrker (1772 – 1847) zu den wenigen gehört, denen „schöne deutsche Hexameter“ gelungen sind, habe ich mich flugs seines Epos „Tunisias“ bemächtigt. Und, oh je: Es wurde eine böse Quälerei. Dieser Abschnitt steht ganz am Anfang des ersten Gesangs:
Sehe den Kaiser zuerst, im Sturm des Donnergeschützes,
Werfen des Feindes Schiffheersmacht in den brausenden Abgrund;
Dann ihn, laut umjauchzt von Tausenden, landen vor Tunis,
Schimmern die Fahne des Siegs von Goletta, vom blutigen Schlachtfeld
Fliehen den Feind, und dort in dem Staub die entfesselten Sklaven
Knien, und netzen des Retters Hand mit glühenden Tränen,
Der, o Wonne, sie heim in das Vaterland, und entgegen
Segnenden Lieben führt aus Schmach, und Qual, und Verzweiflung!
O wie bebt mir die Brust: herauf aus den Tiefen des Herzens
Strömt der Gesang, und kündet der Taten erhab’ne Vollendung!
Das klingt einfach verquast. Ich kann es aber, bis auf die offensichtlichen Aussetzer wie „o Wonne“, nicht wirklich in Worte fassen … Wie gut, dass es andere schon getan haben! Zum Beispiel August Sauer in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ – eine Auswahl:
– Pyrker erhebt die Hände zu den Kränzen Homers und Virgils; aber nur dürre Blätter daraus sind ihm zugefallen.
– In der Darstellung des täglichen Lebens wird er leicht geschmacklos; So fällt er oft und leicht aus dem Erhabenen ins Lächerliche.
– Neben manchen schönen und treffenden Vergleichen eine große Anzahl weithergeholter, hinkender, geschraubter, ja komisch wirkender.
– Vers und Sprache, an Klopstock, noch mehr aber an den späteren Auflagen der Voß’schen Homerübersetzung geschult, dürfen kaum mehr als das Lob einer steifen Korrektheit in Anspruch nehmen.
– So hat Pryker unter all seinen Dichtungen nicht ein einziges Kunstwerk hinterlassen.
„Nicht ein einziges“. Aua. Aber ich habe zumindest bei Pyrkers Hexametern bisher noch keinen Grund gehabt, diese Einschätzung anzuzweifeln.
Irgendwie hatten mich Pyrkers Verse an eine Stelle in Hölderlins „Archipelagus“ erinnert, obwohl die inhaltlichen Gemeinsamkeiten eigentlich gar nicht so groß sind. Ich glaube, ein Vergleich ist ziemlich lohnend, um zu erkennen, wie man’s machen kann; und wie eben nicht.
Aber in schwindelnden Traum vom Liede des Tages gesungen,
Rollt der König den Blick; irrlächelnd über den Ausgang
Droht er, und fleht, und frohlockt, und sendet, wie Blitze, die Boten.
Doch er sendet umsonst, es kehret keiner ihm wieder.
Blutige Boten, Erschlagne des Heers, und berstende Schiffe
Wirft die Rächerin ihm zahllos, die donnernde Woge
Vor den Thron, wo er sitzt am bebenden Ufer, der Arme
Schauend die Flucht, und fort in die fliehende Menge gerissen,
Eilt er, ihn treibt der Gott, es treibt sein irrend Geschwader
Über die Fluten der Gott, der spottend sein eitel Geschmeid ihm
Endlich zerschlug und den Schwachen erreicht‘ in der drohenden Rüstung.
Der damals gelobte Pyrker ist heute vergessen, der lange vergessene Hölderlin gilt heute als einer der größten Dichter. So geht das … Wie hieß es noch mal in einem von Klopstocks Hexametern?
Langsam reift die Entscheidung der Nachwelt über ein Kunstwerk.