Erzählverse: Der Hexameter (51)

Theokrits „Die Rinderhirten“

Ich lese immer mit Freude in den Übersetzungen Eduard Mörikes – zum Beispiel in denen der Werke Theokrits. Der, ein griechischer Dichter aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert, hatte es mit der Bukolik, also mit der Hirtendichtung. In seinen „Rinderhirten“ geschieht das, was in solchen Hirtengedichten des öfteren geschieht: Zwei Hirten einigen sich auf ein Wettsingen, machen einen Einsatz – und los geht’s:

 

Daphnis

Schau, Polyphemos! Da wirft Galateia die Herde mit Äpfeln
Dir, und Geißhirt schilt sie dich, „o du stockiger Geißhirt!“
Doch du siehst sie nicht an, Unseliger, sondern du sitzest
Nur süß flötend für dich. O sieh, da wirft sie schon wieder
Nach dem Hüter der Schafe, dem Hund; der bellet und blicket
Starr in das Meer, und es zeigen die Nymphe die lieblichen Wellen,
Sanft am Gestad aufrauschend, wie unter der Flut sie dahinläuft.

 

Der Zyklop Polyphem und die (Meeres-)Nymphe Galateia werden nicht nur hier besungen – sie sind ein ziemlich häufiges Thema?! Das „aufrauschend“ der letzten Zeile hat eine sehr hübsche Bewegung, und auch die Vorstellung der „unter der Flut laufenden Nymphe“ hat etwas!

Daphnis singt zwar noch mehr, aber ich springe gleich mal zu seinem Gegenüber.

 

Damötas

Ja, beim Pan, ich hab‘ es gesehn, wie sie warf in die Herde!

Aber ich ärgre sie wieder dafür und bemerke sie gar nicht,
Sag auch, ein anderes Mägdelein hätt ich. Wenn sie das höret,
Päan! wie eifert sie dann und zergrämt sich! Wild aus der Meerflut
Springt sie hervor und schaut nach der Höhle dort und nach der Herde.

 

Auch eine Vorgehensweise …

Vom Vers her betrachtet sind diese bukolischen Gedichte wegen der Zäsur bemerkenswert. Die Hauptzäsuren sind ja diese:

X x (x) / X x (x) / X || x || (x) / X || x || (x) / X x x / X x

Die drei roten Zäsuren sind allgemein üblich; die vierte, orangene, nach der ersten unbetonten Silbe der vierten Einheit, haben die Griechen im allgemeinen gemieden, die lateinischen und die deutschen Hexameter benutzen diese Zäsur aber gleichwertig mit den anderen. Alle vier liegen jedenfalls, wie es sich gehört, innerhalb der entprechenden metrischen Einheiten!

Die bukolischen Dichter haben eine weitere Zäsur regelmäßig benutzt: die „bukolische Diärese“. Das meint den Einschnitt nach der vierten Einheit:

X x (x) / X x (x) / X x (x) / X x (x) || X x x / X x

In den vorgestellten Versen kommt dieser Schnitt gleich dreimal nacheinander vor:

Sag auch, ein anderes Mägdelein hätt ich. || Wenn sie das höret,
Päan! wie eifert sie dann und zergrämt sich! || Wild aus der Meerflut
Springt sie hervor und schaut nach der Höhle dort || und nach der Herde.

– Wobei das beim letzten Vers, zugegebenermaßen, etwas schwerer zu bemerken ist.

Wenn die Zäsur so weit „nach rechts“ verschoben wird, prägt das den Vers doch deutlich, auch und vor allem, weil dann sehr oft am Anfang des Verses eine zweite Zäsur hinzukommt und der Vers dreigeteilt wird!

Aber zurück zum Wettsingen der beiden Hirten: Das ging untentschieden aus, wie der Schlussvers berichtet:

 

Sieger jedoch war keiner, denn fehllos sangen sie beide.

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