Erzählverse: Der Blankvers (34)

In „Der iambische Trimeter (9)“ habe ich einige Verse aus Gerhart Hauptmanns „Kaiser Maxens Brautfahrt“ vorgestellt; Dabei war die Wirkung erstaunlich, die aus dem Nebeneinander der gewählten, „normdeutschen“ Ausdrucksweise des Kaisers und dem Dialekt der Bergbäuerin sich ergab.

In Marie von Ebner-Eschenbachs „Die Erdbeerfrau“ tritt genau dieselbe Wirkung ein zwischen den Versen des Normdeutsch sprechenden „Ich“ und der Dialekt sprechenden „dürren Alten“, nur, dass es diesmal ein Gedicht ist und keine „szenische Dichtung“; und Blankverse verwendet werden statt der Trimeter. Ein Auschnitt aus dem längeren Text:

 

„Gsund bin i, Gott sei Dank!“, schloss sie vergnügt,
und zwinkert‘ nach den glutumsäumten Bergen
voll Liebe hin, „und hon aa koani Sorgn.“
„Im Sommer, doch wie sieht’s im Winter aus?“
„Mit Gottes Gnad, halt so, a bißl wiescht,
ma hofft halt immer, daß bal Frühling wird.
An Oaschicks bringt ihm scho so kloanweis furt.“
„Das ist der Trost der Einsamen,“ sagt‘ ich,
„wie Ihr es seid, vielleicht von jeher wart?“

Gutmütig, heitren Spotts zuckt sie die Achseln.
Ob meines Irrtums. „Na, von jeher nit,
i hon amal a schöns Awesn gheit‘
an braven Mo, fünf Kinder – ja amal!“
„Fünf Kinder? Hab und Gut? Und steht allein
und arm jetzt in der Welt? … Wie ging das zu?“
„No, schiefri ebba. ’s Unglück hat uns hoamgsucht,
verbrunna san mer aa“, gab sie zur Antwort
und schien zu denken: Ei, was kümmert’s dich?
Doch mählich eines Bessern sich besinnend,
hob leise seufzend sie von neuem an:
„Vor dreizehn Jahren – wartens – na, vor achtzehn,
ja wirkli, achtzehn – wie die Zeit vergeht!
Da is bei uns das großi Feuer gwest.
In d’Tenna eigschlagn hat der Blitz vom Himmi –
und voll mit Troad wies war, so is verbrunnen,
und aa der Mo, sechs Küh, zwoa Kinder, alls
verbrunna.“
„Wie? Verbrannt?!“
„Ja, ja, verbrennt.
Mi selba hat der Nachbar no am Zopf,
der damal armsdick war – wer möcht dees glaubn? –
herauszerrt aus die lichtrlohn Flammen.
Die Gloabiger hon si den Grund biholten,
und wiar i gangn, wiar i gstandn bin,
so bin i von der Brandgstätt weiterzogn.“
„Mit Euren Kindern?“
„Jo, mit denen drei,
die übri bliebn san, zwoa Diendln und
an kloan Buebn“, entgegnet sie gelassen.

 

„Wie?“ möchte ich hier und da auch fragen – ob ich alles verstanden habe, weiß ich nicht wirklich … Aber das allermeiste doch, und auch eine Bewegungslinie finde ich für die meisten Verse; nur bei einigen ist es schwierig:

herauszerrt aus die lichtrlohn Flammen.

herauszerrt aus die lichtrlohn Flammen.

Vielleicht?! Dann wäre der Vers, wie vom Blankvers verlangt, fünfhebig. Oder ist er doch bloß vierhebig? Schon erstaunlich, wie hilflos man ist, wenn man den Klang der Worte nicht im Ohr hat …

Jedenfalls eine bermerkenswerte Art von Blankversen. Auch wenn ich als eher Norddeutscher bei allem Wollen fremdle – es ist immer wieder erstaunlich, was dieser Vers für Möglichkeiten hat!

Ein Vergleich mit Hauptmanns Trimetern lohnt sich sicher auch. Wer mag …

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