Erzählformen: Das Madrigal (5)

Christoph Martin Wieland kam schon in (1) kurz zu Wort, mit einigen Versen aus seinem „Sommermärchen“. Die allerdings sind oft sehr kurz, Zwei- oder gar Einheber; in den meisten seiner Verserzählungen nutzt Wieland aber längere Verse! Seine „Hauptform“ möchte ich hier vorstellen. Dabei verwendet Wieland drei verschiedene iambische Verse –

Vierheber:

x X / x X / x X / x X / (x)

Fünfheber:

x X / x X || x X / x X / x X / (x)

Sechsheber:

x X / x X / x X || x X / x X / x X / (x)

Besonders wichtig sind dabei die festen Zäsuren der Fünf- und der Sechsheber. Im Falle der Sechsheber sitzt die Zäsur genau in der Mitte des Verses, was die Verse als „Alexandriner“ ausweist; im Falle der Fünfheber sitzt die Zäsur hinter der vierten Silbe. Diese Zäsur unterscheidet den Vers beachtlich vom Blankvers, der ja „frei zäsuriert“ ist! Als Beispiel hier der Anfang von „Pervonte, oder: Die Wünsche“:

 

Es war einmal, ich denke zu Salern,
Ein König, namens – ja! die Namen!
Die Namen, die vergess ich gar zu gern!
Am Ende sind’s ja auch nur Rahmen
Und Schalen, – das Gemäld, der Kern
Macht alles aus. Nennt ihn Astolfo, Holofern,
Hengst oder Horst – genug dass in Salern
Ihm niemand gern den Preis der Schönheit streitig machte.
Was mancher in geheim vor seinem Spielgel dachte,
Ging zollfrei durch. Indessen, wie es geht,
Kam eine Zeit, und kam mit schnellen Flügeln,
Worin bei seiner Majestät
Von allen einst so treudevoten Spiegeln
Nicht einer mehr den Dienst so gut wie sonst versah.

 

Wie sieht es aus mit den Zäsuren der Fünfheber? Gleich im ersten Vers gibt es im Vortrag keine Schwierigkeiten, Vers- und Satzeinschnitt entsprechen sich:

Es war / einmal, || ich den– / ke zu / Salern,

Gleich der nächste Fünfheber birgt allerdings einige Schwierigkeiten!

Die Na– / men, die || vergess / ich gar / zu gern!

– Die Satzpause liegt hinter der dritten Silbe, die Verspause aber nach der vierten Silbe.  Was nun? Das hängt vom jeweiligen Vortragenden ab, die Verspause nach der vierten Silbe sollte aber auf jeden Fall in irgendeiner Form verwirklicht werden! Ich bitte, es durch Selbersprechen auszuprobieren: wird nur die Satzpause gelesen, wirkt die zweite Vershälfte schlaff und trüb, wird auch die VErspause verwirklicht (auch durch eine Längung / Hervorhebung des „die“), bewegt sich die entstehende zweite Vershälfte viel klarer und bestimmter!

Jedenfalls, wie auch immer die Lösung sich anhören mag – die Zäsur ist da, und als Vortragender muss man sich zu ihr verhalten, irgendwie: sie herausstellen, sie abschwächen, sie umspielen, sie vielleicht auch, als Ausnahme!, missachten – alles ist möglich, solange der Vers von diesem Gelenk aus gedacht wird.

Ähnlich, wenn im vorgestellten Abschnitt auch nicht so deutlich bemerkbar, verhält es sich mit den Alexandrinern.

Macht al– / les aus. / Nennt ihn || Astol– / fo, Ho– / lofern,

Auch hier treten Satzeinschnitt und Verseinschnitt auseinander; hörbar gemacht werden müssen auch hier beide.

Wenn man Wielands Verse von diesen Zäsuren her denkt und spricht, werden sie erst wirklich lebendig und offenbaren eine unglaubliche Schönheit in der Bewegung, vor ihrer Musikalität gar nicht zu reden! Also unbedingt selbst versuchen, es lohnt sich wie immer, und hier sogar noch etwas mehr.

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