Erzählformen: Das Madrigal (6)

Hier noch ein Vergleichstext zum gestern eingestellten Wieland-Text – „Der Milchtopf“ von Johann Benjamin Michaelis, rund ein Jahrzehnt vor „Pervonte“ entstanden. Michaelis benutzt genau die gleichen drei Verse wie Wieland:

 

Wohl aufgeschürzt, mit starken, weiten Schritten,
Den Milchtopf auf dem Kopf, ging Marthe nach der Stadt,
Um ihre Sahne feilzubieten.
Weil doch nun beim Verkauf ein jeder Sorgen hat,
So überdachte sie, was, wenns das Glück ihr gönnte,
Sie wohl damit gewinnen könnte.
Sechs Groschen, dachte sie, gibt mir doch jedermann,
Denn in der Stadt ist alles teuer.
Die streich ich also ein und lege sie mir an
Und kaufe mir, so weit sie reichen, Eier.
Die bring ich wieder in die Stadt.
Das Glück hat oft sein Spiel! Für das, was ich gewänne,
Kauft’ ich mir lauter Hühner ein.
Dann legt mir eine jede Henne;
Ich zieh auch dreimal Brut. Wie wird sich Marthe freun,
Wenn so viel Hühner um sie flattern
Die soll gewiß kein Fuchs ergattern!
Denn, sind sie groß genug, so kauf ich mir ein Schwein.
Aus Kälbern, sagt man, werden Kühe.
Das Ferklein wird ja groß; ich spar auch keine Mühe,
Die Kleie hab ich schon dazu.
Wenn ich das Schwein verkauft, kauf ich mir eine Kuh;
Die wirft ein Kalb, ein Ding voll Mut, voll Feuer!
He! wie es springt! hopf, Anna Marthe! hopf!
Hier springt sie – Gute Nacht, Kalb, Kuh, Schwein, Hühner, Eier,
Da lag der Topf.

 

Das wirkt weniger beweglich als bei Wieland, weniger anmutsvoll – eher bodenständig, ein wenig bieder auch?! Was ja als Ton zu der angebotenen Erzählung passt.

Fünfheber hat der Text insgesamt nur vier; in allen lässt Michaelis den Vers- mit einem Satzeinschnitt zusammenfallen, wodurch sich die Verse klar, aber auch ein wenig spannungsarm gliedern; gleich der erste Vers kann als Beispiel dienen:

Wohl auf– / geschürzt, || mit star– / ken, wei– / ten Schrit– / ten,

Auch die Alexandriner sind steifer als bei Wieland. Einer, der vorletzte Vers, hebt sich besonders heraus:

Hier springt / sie – Gu– / te Nacht, || Kalb, Kuh, / Schwein, Hüh– / ner, Ei– / er,

Die Art, wie hier nicht nur hebungsfähige, sondern fast schon hebungspflichtige einsilbige Wörter – „Kalb“, „Schwein“ – in die Senkung gestellt werden, erinnert an die Alexandriner des Barock, in denen derlei häufig zu hören war?!

Insgesamt lohnt sich sowohl ein genauer, zergliedernder Blick auf Michaelis‘ Verse als auch ein Vergleich mit den Versen Wielands. Welche Wirkung hat was? Das lässt sich, denke sich, so ganz gut erschließen.

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