Erzählformen: Das Sonett (8)

„Von Kindern“ ist ein Erzähl-Sonett von Gottfried Keller, und mir darum ein besonderes, weil es ihm gelingt, mir gleichzeitig zu gefallen und auf die Nerven zu gehen mit all seiner echten und / oder vorgetäuschten Niedlichkeit. Immerhin zeigt es ganz gut, wie sich der Sonett-Aufbau – zwei Quartette, zwei Terzette – mit den Anfordernissen eines „geordneten Erzählens“ vereinen lässt?!

 

Man merkte, dass der Wein geraten war:
Der alte Bettler wankte aus dem Tor,
Die Wangen glühend wie ein Rosenflor,
Mutwillig flatterte sein Silberhaar.

Und vor und hinter ihm die Kinderschar
Umdrängt‘ ihn, wie ein Klein-Bacchantenchor,
Draus ragte schwank der Selige empor,
Sich spiegelnd in den hundert Äuglein klar.

Am Morgen, als die Kinderlein noch schliefen,
Von jungen Träumen drollig angelacht,
Sah man den braunen Wald von Silber triefen.

Es war ein Reif gefallen über Nacht;
Der Alte lag erfroren in dem tiefen
Gebüsch, vom Rausch im Himmel aufgewacht.

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