Erzählformen: Das Reimpaar (7)

Im siebten Band von Johannes R. Bechers gesammelten Werken – „Epische Dichtungen“, Aufbau 1967 – findet sich auch „Der Mann, der alles glaubte“, ein langer Text in Reimpaaren. Das fünfte Kapitel beginnt auf Seite 78 so:

 

PETER MURX IST EIN EIFRIGER ZEITUNGSLESER
ER LIEST SICH DEN KRIEG AN

Die Zeitung trug er stets bei sich,
In aller Früh zur Tür er schlich
Und nahm die Zeitung aus dem Spalt.
Gleich auf dem Gange macht er Halt
Und liest schnell jede Überschrift,
Ob’s nicht was ganz Besonderes gibt.

 

Wie für jeden Vers gilt auch für den iambischen Vierheber: Man muss sich Gedanken machen, wie er klingen soll. Wie der letzte Vers zeigt, streut Becher gerne eine zusätzliche unbetonte Silbe ein, was aber kaum auffällt (und wen es stört, der liest eben „Besond’res“).

Viel größere Wirkung hat da schon der Nicht-mehr-Reim „-schrift“ / „gibt“ … Auch das ein brauchbares Gestaltungsmittel, selbstredend. Becher macht davon häufiger Gebrauch, etwa auf den Seiten 83 und 84 – es geht auf den ersten Weltkrieg zu:

 

Natürlich stand auch in dem Blatt,
Dass wieder mal gesprochen hatt‘
Der Kaiser und das alle Welt
Aufhorcht, wenn eine Red er hält,
So las er – dick gedruckt – „AM WESEN,
AM DEUTSCHEN, WIRD DIE WELT GENESEN …“

Da springt auf unser Mann, es zieht
Ihn mächtig hoch, im Spiegel sieht
Er sich, er steht und salutiert
Und sagt zu sich: „WIR DEUTSCHEN! WIR!“
Steht stramm vor seiner Eskadron
– ein Bild hängt an der Wand davon -,
Dann ruft er von der Straß‘ die Buben,
Marschiert mit ihnen durch die Stuben.
Er schwingt – aus Holz ist er geschnitzt –
Den Säbel, dass es nur so blitzt.
Dann schnallt er sich die Trommel um
Und macht auch mit dem Mund: bumbum –
Und schreit „Hurra!“, stürmt in die Küche,
Erobert sie mit grimmen Flüchen,
Als Pauke nimmt ein Bub den Topf,
Darauf er mit dem Löffel klopft.
Die Mutter stellt sich vors Geschirr,
Der Kriegslärm immer wilder wird.
Die Buben haben Knallpistolen.
Zu schießen hat er schon befohlen,
Und wie es gerade schießen will –
Da wird’s auf einmal still, ganz still.
Es ist, als ob die Luft gerinnt
Und auf der Stell bleibt stehn der Wind.
Es lehnten sich hinaus die Wände,
Damit sie’s besser hören könnten –
Der Säbel, den er hochgeschwenkt,
Sich langsam, lautlos niedersenkt –
Und jemand ruft, bald fern, bald nah:
„KRIEG! KRIEG ERKLÄRT! DER KRIEG IST DA!“

 

– Da gibt es gleich drei Reimpaare hintereinander, die unsauber gereimt sind, „Und schreit …  wilder wird“, und da gibt Becher, einmal, sogar die Assonanz auf: „Wände / könnten“. Aber ich denke mir, insgesamt wirkt der Text schon einheitlich?! Auch wenn mal der Reim schwach ist oder fehlt, und trotz der oft gewollt gezwungenen Satzstellung hat er eine kräftige Bewegung, die den Leser mitnimmt (und den Sprecher noch viel stärker).

„1. Weltkrieg“ – „Lärm, Aufregung“ – „Stille“ – „Stimme“: das gab es, fällt mir gerade ein, schon einmal hier beim Verserzähler, bei Hexameter 43, wo Anton Wildgans‘ „Kirbisch“ vorgestellt wird. Vielleicht lohnt sich da ein vergleichender Blick, auch darauf, wie sich das Erzählen in der jeweiligen Form gestaltet?!

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