Ulla Hahn: Dichter in der Welt. Mein Schreiben und Lesen.
Ein Band, der nicht unmittelbar auf Fragen zum Vers eingeht; obwohl immer wieder Verse eingestreut sind. Im Vorwort beschreibt Ulla Hahn, was den Leser erwartet – einmal „Überlegungen zum Verständnis des eigenen Handwerks“, dann aber auch die „Annährung an Kolleginnen und Kollegen“. Zu denen zählen dann Anette von Droste-Hülshoff, Hilde Domin, Christa Reinigs, Gertrud Kolmar, Else Lasker-Schüler, Sylvia Plath, Erich Fried, Marina Zwatajewa, Lilja Birk, Wladimir Majakowski, Nelly Sachs, Marie Luise Kaschnitz, Nikolaus Lenau, Emily Dickinson, Karl Krolow, Giuseppe Ungaretti, Inger Christinsen, Ivan Bunin, Gertrud von le Fort, Simone de Beauvoir, Bertholt Brecht, Irina Ratuschinskaja, Wassyl Stus, Ricarda Huch, Albrecht Haushofer, Theodor Kramer, Gottfried Benn: Also eine große Breite. Da kann auf knapp 300 Seiten nicht sehr in die Tiefe gegangen werden, aber was geschrieben steht und gelesen werden kann, ist die dafür aufgewendete Zeit auch wert.
Ich hänge als Beispiel für Hahns Art zu schreiben noch eine Stelle aus „Mit dem Gaumen des Herzens“ an. Sie findet sich auf Seite 28 und hat das laute Lesen von Gedichten zum Inhalt:
Wählen Sie das Gedicht aus, das Ihnen das liebste ist. Ziehen Sie sich mit ihm zurück, und dann lesen Sie es. Laut und Leise. Mit den Augen und dem Mund und den Ohren. Inwendig und asuwendig. Wörter sind Laute, sinnliche Gebilde, sie wollen nicht nur begriffen, sondern ergriffen sein, mit Zunge und Zähnen, Lippen und Zäpfchen, mit der Luft aus dem Raum in die Lunge und wieder hinaus. Im Anfang war das Wort. Nicht die Schrift. Wörter wollen gehört sein. Wenn wir wieder begreifen wollen, was ein Gedicht in seinem Kern ausmacht, müssen wir es wieder in den Mund nehmen. Jedes Wort hat einen Körper, einen Klangkörper. Ein Gedicht ist eine Komposition, eine Partitur, die jeder nachspielen, nachsprechen kann.
Erschienen ist „Dichter in der Welt“ 2006 in der Deutschen Verlags-Anstalt.