Hexameter in Goethes „Faust“
Hexameter im Faust? Gibt es nicht. Im ersten Teil sind die Bezüge zur Antike ohnehin rar, und als Goethe den zweiten Teil schrieb, hatte er zwar Bedarf an antiken Versmaßen, sich vom Hexameter aber schon abgewandt; stattdessen schrieb er viel im iambischen Trimeter – Bewundert viel und viel gescholten Helena … Auch großartige Verse, aber eben keine Hexameter.
Warum also dann dieser Eintrag? Nun, wie Markus Ciupke in seinem recht lesenswerten Buch Des Geklimpers vielverworrner Töne Rausch. Die metrische Gestaltung in Goethes „Faust“ anmerkt, gibt es unter den 12111 Faust-Versen wohl doch einen Hexameter – allerdings nicht auf Deutsch, sondern auf Lateinisch; und es ist auch eigentlich kein Vers, sondern ein Zitat aus einem Prosa-Werk, der lateinischen Bibel nämlich, sprich, der Vulgata:
Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum
1. Mose 3,5 in der Bibel, im Faust Bestandteil der „Schüler-Szene“ (Vers 2048). Metrisch betrachtet:
Eritis / sicut / Deus, || sci- / entes / bonum et / malum
Gott gleich werdet ihr sein, und wissen vom Guten und Bösen wäre, mal so aus dem hohlen Bauch, der Versuch einer Hexameter-Übersetzung; die evangelische „Bibel nach Luther“ übersetzt eher alternierend, Und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist; die katholische „Einheitsübersetzung“ ist sprachlich noch anspruchsloser, Ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.
Spannend wird dieser etwas eigene Hexameter nun durch die beiden ihm folgenden Verse:
Folg nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der Schlange,
Dir wird gewiss einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!
Was sind das für Verse? Gut, man könnte einfach auf eine Einordnung verzichten – die Verse werden dadurch ja nicht schlechter. Aber es gehört wohl auch zum Mensch-Sein, auf alles einen Namen kleben zu wollen; und indirekt geht es ja auch darum, mit welcher „Bewegung“ die Verse gelesen werden!
Eine Möglichkeit ist, die Verse als Alexandriner zu lesen, also nach diesem Schema:
x X / x X / x X || x X / x X / x X / x
Folg nur / dem al- / ten Spruch || und mei– / ner Muh– / me, der Schlan– / ge,
Dir wird / gewiss / einmal || bei dei- / ner Gottähn– / lichkeit ban– / ge!
Die Sechshebigkeit ist da, die feste Zäsur nach der dritten Hebung auch; die Verse sind, wie es sich für Alexandriner gehört, gereimt. Allerdings haben sich in den zweiten Vershälten die rot markierten überzähligen Silben eingeschlichen!
Man kann die Verse aber auch als Hexameter auffassen:
Folg nur dem / alten / Spruch || und / meiner / Muhme, der / Schlange,
Dir wird ge- / wiss ein- / mal || bei / deiner Gott- / ähnlichkeit / bange!
Der erste Hexameter ist da etwas besser als der zweite, aber auszusetzen gibt es, finde ich, nicht so viel; nur, dass die Verse halt gereimt sind. Gereimte Hexameter! Ein Unding!
Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich wahrscheinlich „Alexandriner“ sagen. Eben wegen der Reime. Aber es ist auch bestimmt kein Zufall, dass Goethe die dann überzähligen Silben an genau den Stellen gesetzt hat, wo sie zum den Hexameter kennzeichnenden Versschluss „Tam ta ta / Tam ta“ führen, samt solcherart erfolgter Anbindung an den lateinischen Vers?!
Also ist es wahrscheinlich am weisesten, zu sagen: Eine alexandrinisch-hexametrische Mischform. Und es damit gut sein lassen, vielleicht noch mit Verweis auf diese kurz zuvor zwischen Schüler und Mephistopheles gewechselten Worte:
Schüler
Doch ein Begriff muss bei dem Worte sein.
Mephistopheles
Schon gut! Nur muss man sich nicht allzu ängstlich quälen,
Denn eben, wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Ah! Ist da nicht der erste Mephistopheles-Vers ein lupenreiner Alexandriner? Nein, sagt zumindest Markus Ciupke, das ist, „umfeldbedingt“, ein Madrigalvers.
Ojemine!