In den ersten elf Teilen von „Erzählverse: Der Blankvers“ sind die formalen Eigenheiten des Verses ausreichend zur Sprache gekommen, scheint mir?! Daher möchte ich im weiteren vor allem die eigentlichen Texte wirken lassen und auf den Versbau betreffende Dinge nur noch im Ausnahmefall eingehen!
Christian Morgenstern hat viel mehr geschrieben als die „Galgenlieder“ und „Palmström“; zum Beispiel den folgenden, recht kurzen Blankvers-Text, der aber trotzdem ein vollwertiger Erzähltext ist!
Die beiden Nonnen
Ich müsst‘ es malen, solltet ihr sie sehen,
wie ich sie sah, die beiden schwarzen Schwestern:
Allein sich glaubend im beschneiten Walde,
der Jugend süße Ungeduld nicht zügelnd,
mit einem Male Menschen, Mädchen, Kinder.
Die Kleider flogen um die leichten Füße,
die Hüften wiegten sich, und jubelnd jagten
sie sich mit weißen Bällen durch die Bäume …
Ein schwerer Ast begrub sie fast in Flocken …
Ein Reh erschreckte sie, – und wie des Schreckens
sich schämend, klatschten toll sie in die Hände …
Dann stellten sie sich plötzlich gegenüber
und maßen ihre Kraft, die offnen Finger
verstrickend, bis die eine lachend kniete …
Und fort und fort so heitre Kurzweil treibend,
entschwanden sie dem nicht geahnten Späher,
bis selbst die Stimmen, heller Lieder selig,
im Winterwald sich endlich fern verloren.
„Ich müsst‘ sie malen“ – nicht unbedingt. Morgenstern stellt „die beiden schwarzen Schwestern“ sehr anschaulich hin vor das Auge des Lesers?!
Das „heller Lieder selig“ des Schlusses hat mich beeindruckt und so, leicht abgewandelt, seinen Weg in einen meiner Texte gefunden, siehe das „heller Lieder voll“ aus „Das Königreich von Sede (2)“.