Paul Heyses „Hexameter-Brief“ (5)
Auch in den Versen 104 – 133, die den Schluss seines Briefes bilden, denkt Heyse über August von Platen nach:
Traun, wohl glückt‘ es ihm noch im leichteren epischen Versmaß,
Als er die Fischer von Capri sang. Doch in Zuckungen förmlich
Fällt ihm in Oden und Hymnen die gliederverrenkende Muse,
Dass dem geneigtesten Leser, entwöhnt seit Jahren der Schulbank,
Will er im Verstakt bleiben, der Angstschweiß strömend hervorbricht.
Hat ein hellenisches Ohr in Pindars Klanglabyrinthen
Leicht, wie in blühenden Gärten ein Kind, zurecht sich gefunden,
Uns hilft nimmer der Faden des Schemas aus dem verschlungnen
Irrgang künstlicher Rhythmen, wo hinter verschnörkelten fremden
Redeblumen der Sinn sich verbirgt. Wir lieben den freien
Rüstigen Schritt auf ebenem Pfad und die offene Fernsicht;
Ob durch Markt und Gassen und mondlichtschimmernden Meinberg
Herrmann schreitet, am Arm die hohe Gestalt der Geliebten,
Ob uns Reineke führt die geschlängelten Pfade des Märchens,
Oder Mörikes sicherer Mann und am Ufer des Boden-
Sees der listige Fischer mit weitausgreifenden Schritten.
Doch er schläft am sizilischen Strand, und es rauscht ihm die Meerflut
Sanft in den ewigen Traum ein Grablied griechischen Wohllauts.
Mög‘ er sich freuen der Zweige des Lorbeers, die ihm in frommer
Ehrfurcht manch ein Jünger geweiht, der ähnlich dem Meister
Auch in der Kunst nur suchte die Kunst und jenen bestaunte,
Weil ihm ein Äußerstes glückte, wie oft auch drüber die Sprache
Außer sich kam. Und wahrlich: er tat das Seine, mit tapfer
Gläubigem Mut, auf Gold nicht bedacht und das Lob des gemeinen
Haufens. Er diente dem Gott, der ihm der wahre geschienen.
Sag, was kann ein Sterblicher mehr? Drum mag es auch mir nun,
Den zu anderem Glauben das Herz hindrängte, vergönnt sein,
Meinen Göttern getreu hinfort mein Wesen zu treiben,
Wie ich muss und vermag. Du aber vergib mir den lehrhaft
Trockenen Brief und die schlechten Hexameter, die dir ein Greul sind!
– Die Fischer von Capri: Wie schon erwähnt hat Heyse zu Beginn des Briefes darauf Bezug genommen. Und es ist auch wirklich ein guter, lesenswerter Text Platens!
– Oden: Mir gefallen Platens Oden eigentlich gut … Wovon ich wenig halte, sind seine nicht-antikisierenden Ghaseln, zum Beispiel. Aber da sind die Geschmäcker dann, wie immer, verschieden.
– Herrmann, Reineke: „Herrmann und Dorothea“, „Reineke Fuchs“ sind Goethes berühmte Hexameter-Epen, die man gelesen haben muss, beschäftigt man sich mit dem Vers.
– Sicherer Mann, Bodensee: „Märchen vom sichern Mann“, Idylle vom Bodensee oder Fischer Martin“ sind zwei Hexameter-Werke Eduard Mörikes; und vor allem der „Sichre Mann“ ist ein wunderbares Stück! Worttrennungen am Versende, wie sie hier Heyse mit „Boden-sees“ vorführt, hat Mörike immer mal wieder genutzt, oft noch unbekümmerter, wie zum Beispiel seine „Epistel“ (beim Verserzähler schon hier vertreten) zeigt:
Jetzo hat er ein griechisches Epos, hör ich, die Argo-
nauten, heroische Form, auf dem Amboss. Segn’ es der Gott ihm,
Aber zu lesen begehr ich es nicht. …
– Sag, was kann ein Sterblicher mehr? Schönes, versöhnliches Schlusswort von Heyse. Es gab und gibt so viele Vorstellungen vom Hexameter, wie es Hexametristen gibt; da ist für Aussagen und Einsichten mit Auschließlichkeitsanspruch nicht recht Platz. Wobei die reichlich getroffen worden sind …
Paul Heyse hat in seinem Hexameter-Brief gezeigt, wie man auch in Versen über grundlegende Fragen nachdenken kann. Wahrscheinlich hätte man das auf kleinerem Raum erledigen können als in 133 Langversen; aber wer Hexameter für ein solches Unterfangen wählt, der weiß auch, dass dieser Vers viel Gegenständlichkeit braucht, gierig auf Dinge und Wirklichkeit ist und mit „Leerwörtern“ gar nicht gut zuerechtkommt; und dementsprechend hat Heyse Dinge vor den Leser hingestellt und einen schönen, gar nicht wirklich langen Brief geschrieben, dessen Vers-Fülle den Leser durchaus halten kann?!