Erzählverse: Der trochäische Fünfheber (1)

Der trochäische Fünfheber kann als ungereimter, gereihter Erzählvers verwendet werden. Er hat diese Gestalt:

X x / X x / X x / X x / X x

Damit ist er anderen Versen recht ähnlich, hat aber doch seine eigenen Ansprüche, Möglichkeiten und auch Tücken. Zwei Vergleiche mit Versen, die der Verserzähler schon seit längerem vorstellt, geben da einen ersten Eindruck!

x X / x X / x X / x X / x X / (x)

Das ist der Blankvers, im Vergleich zum trochäischen Fünfheber ein recht vielgestaltiger Vers, da er

– mit einer betonten oder unbetonten Silbe schließen kann; der trochäische Fünfheber schließt immer unbetont.

– viele Möglichkeiten zur Auflockerung des strengen „Auf und Ab“ besitzt: Versetzte Betonungen (vor allem am Versanfang), doppelt besetzte Senkungstellen, gelegentliche verlängerte oder verkürzte Verse … All das steht dem trochäischen Fünfheber kaum zur Verfügung: Er hat immer zehn Silben und schreitet fast ausnahmslos im strengen Auf und Ab daher, beginnend mit einer betonten Silbe.

Wie schafft es der trochäische Fünfheber dann aber, die über längere Erzählstrecken nötige Vielgestaltigkeit zu verwirklichen? Teilweise gar nicht, es ist einfach ein deutlich spröderer Vers als der Blankvers; teilweise durch die abwechslungsreiche Gliederung des Verses durch Zäsuren – bei einer Länge von zehn Silben gibt es da schon einige Möglichkeiten!

Der zweite Vergleichsvers ist der trochäische Vierheber:

X x / X x / X x / X x

Die selbige Grundbewegung, aber nur acht statt zehn Silben – ein kleinerer Raum also! Verglichen damit kann der trochäische Fünfheber

– etwas ausgestaltender erzählen: die zusätzlichen zwei Silben geben Raum für ein wenig mehr Schmuck, ein Adjektiv hier, eine Adverbiale da.

– etwas näher am Prosatonfall erzählen – der Vers wird nicht ganz so stark wie der Vierheber von den Anforderungen des Satzes verformt; Wiederholungen sind seltener, genauso wie Umstellungen gegenüber dem gewöhnlichen Satzbau.

Die Gefahr der größeren Länge ist: Der Vers klingt bei zu häufiger Verwendung der im Deutschen so häufigen „trochäischen Wörter“ der Form „X x“: leicht eintönig, besonders, wenn keine deutlichen Zäsuren vorhanden sind!

Aber zu den Feinheiten ein andermal. Hier, zum Schluss und als erstes Beispiel, die ersten Verse von Carl Spittelers „Kosmoxera oder Die Armbandgeschichte. Eine Kriminalnovelle aus dem himmlischen Pitaval“.

 

In den Zeiten, als der Weltraum jung war
Und die Jahre, keck und rosenwangig,
Spielten Kreisel in den Glockentürmen,
War durch keinen Graben noch geschieden
Von der Himmelsstadt die Weltenlandschaft
Und die Brücke hin und her vernichtet;
Frei lustwandelten die Himmelsbürger
Vor den Toren in den dunklen Wäldern,
Welche, noch verschont vom Fluch des Lebens,
Still und einsam standen und vertraulich,
Eine Wohnstatt allen Liebespaaren.

 

Da wird schon manches erkenn- und hörbar?! Eine Sache, die Beachtung verdient, ist sicher die große Zahl an Einsilben zu Versbeginn; dass eben kein „X x“-Wort den Vers einleitet!

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