Hans-Heinrich Hellmuth / Joachim Schröder (Hrsg.):
Die Lehre von der Nachahmung der antiken Versmaße im Deutschen.
Dieser Band ist 1976 bei Fink erschienen, in der Reihe „Studien und Quellen zur Versgeschichte“, und es geht in ihm eher um die „Quellen“: Auf fünfhundert Seiten sammeln die Herausgeber ein Fülle von Texten aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die Frage betreffend, wie sich denn die griechische beziehungsweise lateinische Sprache und Metrik zur deutschen Sprache und Metrik verhalten; und was daraus für Folgerungen zu ziehen sind, will man, für die Übersetzung oder den eigenständigen Text, die antiken Versmaße im Deutschen nachbilden.
Das liest sich nicht immer einfach, auch des zeitlichen Abstands wegen; und die oft ausufernden metrischen Fach-und Streitgespräche tun ein übriges. Aber trotzdem: Ein wichtiger und sehr lehrreicher Band, beschäftigt man sich auch heute noch mit diesen Fragen!
Und es sind auch längst nicht alle Texte schwer zugänglich. Ziemlich am Anfang (auf Seite 5) findet sich zum Beispiel dieser Brief von Ewald von Kleist, geschrieben am 21. Januar 1747 an Ludwig Gleim:
Warum tadeln Sie mir mein Landleben nicht? Dies würde mich nicht abschrecken; ich bin nicht so furchtsam, als Sie sich einbilden. – Es ist Ihnen anstößig gewesen, dass ich habe Tulpen und Rosen zugleich blühen lassen; ob dies gleich nun nicht anz wider die Natur ist, so lass‘ ich mir doch alle Ihre Änderungen gefallen. Sie werden hier und da noch unrichtige Dactylos bemerkt haben, z.B. gleich im Anfange: „Füllt meine Seele“, „— v v — v“; sie sind aber nicht sehr häufig, und ich will sie schon wegbringen. Im Fall, dass sie das deutsche Silbenmaß aber nach der lateinischen Prosodie abmessen wollen, werden sie unzählige Schnitzer darin gewahr werden. Dies geht aber nicht. So ist zum Beispiel die positio firma der Römer im Deutschen tausendmal kurz. Ich sage nicht „Lieb–ling„, “ — —„, sondern „Liebling“, „— v“; nicht „flie–ßende“, „— — v“, sondern „fließende“, “ — v v “ und so weiter. Ja, selbst die Diphthongen sind oft kurz; zum Beispiel „Laubhöhle“, „— v v „, nicht „Laub–höhle“, „— — v“; nicht „Wohn–hauses“, „— — v“, sondern „Wohnhauses“, „— v v“. Doch ist dieses nur in Derivativis; in der Primitivis sind sie immer lang. Man muss also im Deutschen das Silbenmaß bloß nach dem Gehör einrichten, und ich weiß nicht, was Uz mit seinen reinen Dactylen will. Lass unsere Nachkommen sich aus uns eine deutsche Prosodie machen, wie die lateinischen Grammatiker die Prosodie aus den lateinischen Autoren gezogen, nicht aber diese sich nach den Regeln jener gerichtet haben.
Kein sehr langer Brief; aber schon genug Stoff für einige durchgrübelte Stunden … Das erwähnte „Landleben“ ist dann als „Der Frühling“ erschienen; ein Text, auf den einzugehen lohnt und auf den ich daher auch zurückkommen möchte.
Und um zum vorgestellten Buch zurückzukommen: Unbedingt reinschauen, ergibt sich die Möglichkeit dazu!