Hexameter und Reimverse unterscheiden sich sehr voneinander; wie groß dieser Unterschied wirklich ist, erkennt man eigentlich erst, wenn beide unmittelbar aufeinandertreffen. Ein Beispiel dafür ist Josef Franz Ratschkys „Der Kakodämon der Hexametromanie“, ein etwas längeres Erzählstück, das in ganz schlichten, gereimten Vierhebern einsetzt:
Jüngst, als ich, wie ich öfters pflege,
Mich fern vom Lärm der Stadt erging,
Und einsam wandelnd Grillen fing,
Stieß plötzlich mir auf meinem Wege
Ein wunderliches Wesen auf.
– Der im Titel genannte Dämon! Er ist, wie einige Verse später klar wird, von wunderlichem Aussehen, dabei aber „hexametergerecht“:
Des Ungeheuers Körpergröße
War schrecklich; denn man sagt, es esse
Tagtäglich hundert Schock Spondä’n,
Die, wie bekannt, gewaltig blähn.
…
Sechs Füße, die oft ungewöhnlich
Anschwollen, oft sich, Stelzen ähnlich,
Verdünnten, hatte die Gestalt,
Worauf sie über Zäun‘ und Hecken,
Der Gemse gleich, bald sprang und bald,
Sich mühsam schleppend, kroch wie Schnecken.
„Ich“ fürchtet um Leib und Leben und bittet um Schonung; worauf der Dämon zu reden beginnt, und das selbstverständlich – in Hexametern!
„Bebe nur, feiges Geschöpf! Du des Staubes verworfner Bewohner,
Bebe! Denn wisse, du siehst vor dir den gewaltigen Dämon,
Dem das rüstige Volk teutonischer Hexametristen
Huldigt und den du, dein Ohr an dem Schellengeklingel des Reimes
Labend, noch stets dich erfrechst mit frevelndem Trotz zu verschmähen.
Mir, dem’s gelang, das eiserne Joch des grammatischen Zwanges
Durch herkulischen Mut vom Nacken der Sprache zu wälzen,
Der ich das Adjektiv dem Substantive zu folgen
Nötigte, der ich das sonst ins Hintertreffen verwiesne
Zeitwort, kühn das Gesetz der Taktik Adelungs ändernd,
Nun in das Zentrum hinein beorderte, mir, der dies alles
Und wohl noch mehr zum Erstaunen der Welt ruhmwürdig vollbrachte,
Mir erdreistest du dich, des Gehorsams Pflicht zu verweigern?
Törichter! Noch ist es Zeit, dich reuig der Schuld zu entladen.
Schwör im Büßergewand die irrige Lehre des Reims ab,
Und dann komm und folge mir nach! Mit dem Fluge des Aars hebt
Eilig mein stets gesattelter Sphinx dich empor von der Erde
Zu den wolkichten Höhn des hexameterischen Pindus.“
– Auch wenn diese Verse vieles aufspießen, was schlechte Hexameter ausmacht – sie selbst sind dabei gar nicht mal schlecht?! („Adelung“ war ein damals – der Text entstand 1797 – berühmter Grammatiker.) Aber „Ich“ ist nicht zu überzeugen, und der Text fällt entsprechend zurück in die gereimten Vierheber:
Nach dieser stolzen Rede machte
Der Kobold alsobald sich fort,
Und ich, mich fassend, überdachte,
Was er gesprochen, Wort für Wort:
Allein ich fühlte kein Behagen,
Den Ritt auf seinem Sphinx zu wagen.
Wie gesagt: Das Nebeneinander der beiden Versarten – hier der „Klangvers“, dort der „Bewegungsvers“ – ist schon sehr deutlich und aufschlussreich. Vielleicht vesteht sich dann auch besser, warum man diese beiden grundlegegenden Ordungsarten besser nicht vermischt, also Hexameter nicht reimen sollte?
Aber zum Schluss soll noch einmal das sich (scheinbar) bescheidende „Ich“ zu Wort kommen:
Mir, dacht ich, ist ein Fleckchen Erde
Geräumig gnug zu einem Ritt
Auf meinem kleinen Dichterpferde,
Dem ich, damit es zahmer werde,
Die Flügel vorsichtsvoll beschnitt.