Erzählverse: Der trochäische Vierheber (37)

Den „Stapfen“ des Schweizers Conrad Ferdinand Meyer möchte ich „Erinnerung“ an die Seite stellen, verfasst vom zwanzig Jahre älteren Schwaben Eduard Mörike. Sind es Meyer die Blankverse, so sind es bei Mörike die tröchäischen Vierheber; auch sie sehr regelmäßig, man hat beim lauten Lesen oft Mühe, nicht zu prosaisch im Ton zu werden!

Hier also Mörikes junge Frau auf ihrem Weg, in Begleitung eines jungen Mannes, bei Regen:

 

Erinnerung
An C.N.

Jenes war zum letzten Male,
Dass ich mit dir ging, o Clärchen!
Ja, das war das letztemal,
Dass wir uns wie Kinder freuten.

Als wir eines Tages eilig
Durch die breiten, sonnenhellen,
Regnerischen Straßen, unter
Einem Schirm geborgen, liefen;
Beide heimlich eingeschlossen
Wie in einem Feenstübchen,
Endlich einmal Arm in Arme!

Wenig wagten wir zu reden,
Denn das Herz schlug zu gewaltig,
Beide merkten wir es schweigend,
Und ein jedes schob im stillen
Des Gesichtes glühnde Röte
Auf den Widerschein des Schirmes.

Ach, ein Engel warst du da!
Wie du auf den Boden immer
Blicktest, und die blonden Locken
Um den hellen Nacken fielen.

„Jetzt ist wohl ein Regenbogen
Hinter uns am Himmel“, sagt ich,
„Und die Wachtel dort im Fenster,
Deucht mir, schlägt noch eins so froh!“

Und im Weitergehen dacht ich
Unsrer ersten Jugendspiele,
Dachte an dein heimatliches
Dorf und seine tausend Freuden.
– „Weißt du auch noch“, frug ich dich,
„Nachbar Büttnermeisters Höfchen,
Wo die großen Kufen lagen,
Drin wir sonntags nach Mittag uns
Immer häuslich niederließen,
Plauderten, Geschichten lasen,
Während droben in der Kirche
Kinderlehre war – (ich höre
Heute noch den Ton der Orgel
Durch die Stille ringsumher):
Sage, lesen wir nicht einmal
Wieder wie zu jenen Zeiten
– Just nicht in der Kufe, mein ich –
Den beliebten ‚Robinson‘?“
Und du lächeltest und bogest
Mit mir um die letzte Ecke.
Und ich bat dich um ein Röschen,
Das du an der Brust getragen,
Und mit scheuen Augen schnelle
Reichtest du mir’s hin im Gehen:
Zitternd hob ich’s an die Lippen,
Küsst es brünstig zwei- und dreimal;
Niemand konnte dessen spotten,
Keine Seele hat’s gesehen,
Und du selber sahst es nicht.

An dem fremden Haus, wohin
Ich dich zu begleiten hatte,
Standen wir nun, weißt, ich drückte
Dir die Hand und –

Dieses war zum letzten Male,
Dass ich mit dir ging, o Clärchen!
Ja, das war das letztemal,
Dass wir uns wie Kinder freuten.

 

Als ich „Erinnerung“ zum ersten Mal gelesen habe, war ich noch ziemlich jung an Jahren, und der Text hat mich damals, das weiß ich noch, nicht übermäßig beeindruckt. Aber wie mit so vielen Texten Mörikes, so auch mit diesem: Liest man sie mehr als einmal, werden sie vertraut, und dann merkt man, was für wunderbare Gedichte sie sind!

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