In Friedrich Rückerts „Liedertagebüchern“ finden sich viele unscheinbare Texte, bei denen ein zweites Hinschauen und ein zweites Hinhören oft lohnen. So bei diesem kleinen Vierzeiler:
Die kluge Rose senkt ihr Haupt bescheiden,
So bleicht die Sonn‘ und wäscht der Regen sie nicht aus,
Und, sanft berührt die Woche lang von beiden,
Gibt sie am Sonntag einen Strauß.
Das könnte man auch als Strophenform auffassen, aber ich nehme es als Madrigal; und da fällt dann auf, wie wenig der ständige Wechsel der Verslänge – von fünf auf sechs auf fünf auf vier Hebungen – dem Eindruck von Geschlossenheit schadet?! Rückert sieht von Zeilensprüngen ab, der Sechsheber hat dafür einige innere Spannung, die den langen Vers lebendig hält; und der Kreuzreim tut das seinige und verklammert die beiden Strophenhälften zu einer Einheit.
Feines Handwerk!
Dass der Inhalt dabei nicht wirklich überzeugen kann – geschenkt; Mein Dank gilt Rückert für das Vorführen der Möglichkeiten, die in der Verwendung von Versen verschiedener Länge liegen.