„Sie schon wieder“, seufzte Ursula Fürchtegott.
„Ich schon wieder“, bestätigte Dr. Sotz der Leiterin des Stadtarchivs und wies auf den Spielzeugroboter, den er sich unter den linken Arm geklemmt hatte. „Diesen kleinen Burschen kennen Sie ja schon, und das hier“ – er deutete auf den neben ihm stehenden Heinrich – „ist ein Freund, mit dem zusammen ich Dinge erlebt habe, die aufzuklären ohne Ihre Hilfe nicht möglich ist!“
Ein zweiter Seufzer. „Wie immer also. Na gut, bringen wir’s hinter uns – was brauchen Sie?“
Dr. Sotz entrollte eine lange Liste, räusperte sich; und trug vergnügt deren Inhalt vor.
Einen mühseligen Arbeitstag später verließen Dr. Sotz und Heinrich das Archiv, suchten Dr. Sotz‘ nahegelegene Junggesellenwohnung auf und verbrachten einen Großteil der Nacht mit dem Versuch, aus dem erworbenen Wissen ein schlüssiges Bild zu gewinnen; nach einigen wenigen Stunden Schlafs kehrten sie dann ins Archiv zurück, um noch einige Einzelheiten zu überprüfen. Mittags schließlich wanderten sie zum Markt-Cafe, wo sie trotz des dem Markttag geschuldeten Gedränges einen Tisch bekamen, einen grünen Tee bestellten und tranken; und schließlich daran gingen, die Bausteine des Rätsels endgültig zusammenzusetzen.
„Also“, begann Dr. Sotz und blätterte in seinen Unterlagen. „Wir haben Anfang des 16. Jahrhunderts einen Alchimisten, Adalbert von Schönburg.“
„Der hatte, geheimniskrämerisch wie alle Alchimisten, ein Haus weit vor der Stadt auf einem Gelände, das bald danach von der wachsenden Stadt verschluckt worden ist; der heutige Stadtpark“, nahm Heinrich den Faden auf.
„Genau. Beschäftigt hat er sich mit …“, Dr. Sotz schlug um, „… der Vorstellung eines künstlichen Menschen; er wollte einen Homunkulus erschaffen. Den damaligen Chroniken und Gerichtsakten zufolge war er dabei ziemlich erfolgreich und hatte viele der benötigten Stoffe bereits hergestellt, als er angeklagt, verurteilt und anschließend verbrannt wurde. Seine Chemikalien und Gerätschaften beließ man im Keller seines Hauses, der aber vermauert und versiegelt wurde.
Ende des 18. Jahrhunderts wurde das verfallende Gebäude dann vom Raubdrucker Peter Marteau als Lagerraum benutzt. Er verspekulierte sich, als er eine größere Menge an Klopstock-Bänden druckte zu einer Zeit, als Klopstocks Ruhm schon im Schwinden war; und darauf sitzen blieb und pleite ging. Da inzwischen die Kellerdecke an einer Stelle eingebrochen war, wurden die Bücher kurzerhand zur Auffüllung des darunter liegenden Hohlraums verwendet.“
„Hohlraum“, sagte der Spielzeugroboter.
„Danach“, Dr. Sotz ließ sich nicht stören, „verfiel das Haus endgültig und wurde abgerissen. So weit, so bekannt. Über die wirklich entscheidenden Dinge wissen wir aber immer noch nichts: Was geschah in all den langen Jahren in der Finsternis des Kellers, wie verbanden sich die Stoffe, die einen künstlichen Menschen ergeben sollten, mit den Worten des größten Dichters der Empfindsamkeit, dessen Gedichte vor Gefühl überquellen und denen die Kraft der sprachlichen Bewegung so wichtig ist? Wie konnte aus jahrhundertealten Pasten und Pülverchen, die sich auf die Seiten vermodernder Gedichtbände schmierten, das werden, was wir im Stadtpark gesehen haben? War es einfache Chemie, oder doch eine Art Wort-Homunkulus?!“ Er schlug auf den Tisch, dass die Teetassen klirrten. „Ich muss es wissen!“
„Dr. Sotz, beruhigen Sie sich doch!“, verlangte Heinrich. „So langsam hege ich den Verdacht, die Vorstellung eines Homunkulus ist für Sie nicht wirklich das Hirngespinnst, das es sein sollte?“
Dr. Sotz wich Heinrichs strengem Blick aus. „Alles, was ich will, ist: die ganze Sache verstehen. Was dabei Hirngespinst ist und was nicht, wird sich zeigen!“
„Stichwort“, meldete sich der Spielzeugroboter noch einmal zu Wort.